„Wir kümmern uns um alles!“ stimmt nur bedingt

Die Aussage „Wir kümmern uns um alles!“ höre ich das erste Mal, als unser Sohn in der C-Jugend in ein Nachwuchsleistungszentrum wechselt. Ähnliche Aussagen machen auch immer wieder Mitarbeiter*innen aus NLZ, mit denen ich arbeite. Gehen wir dann ein bisschen in die Tiefe, sieht es schon ganz anders aus. Denn die Aussage entspricht nur der halben Wahrheit.

Der Wunsch vieler/aller NLZs ist es, sich optimal um jeden Spieler zu kümmern. Doch hapert die Umsetzung oftmals daran, dass die dafür nötigen Personen bzw. personellen Strukturen fehlen sowie entsprechende Konzepte.

Da m. E. diese Aufgaben in den Leitungspositionen ansässig sind, möchte ich den Blogartikel dazu nutzen, meine Sichtweise zu teilen und gleichzeitig Anregungen zu geben und richte ihn an:

  • Leiter*in eines NLZs
  • technische Leiter*in
  • sportliche Leiter*in
  • Nachwuchskoordinatoren/*in
  • Personen, die Entscheidungen treffen und tragen, wie Spieler optimal auf und neben dem Platz unterstützt werden

Ich verrate dir, …

  • welche Erfahrungen ich mit unserem Sohn im NLZ gemacht habe
  • welchen Mehrwert ein NLZ hat, wenn es mit den Spielereltern enger zusammenarbeitet
  • was sich als Erstes verändern muss, damit die Umsetzung gelingt

Willst du lieber hören statt lesen? Dann findest du hier die dazugehörige Podcast-Episode:

1. Geben Sie ihr Kind am Tor ab und wir kümmern uns um alles

Als Joshua in das erste Nachwuchsleistungszentrum wechselt, ist er 14 Jahre. In unserem ersten und es bleibt über die Jahre auch das einzige Gespräch mit dem Jugendleiter erfahre ich, dass mir als Elternteil in dieser Welt keine wirkliche Aufgabe zufällt. Erstmal …

Es gibt einen Fahrdienst zum Training und zu den Spielen, Physiotherapeuten, Ärzte, die bei Bedarf und Verletzungen aufgesucht werden können, einen pädagogischen Leiter, der als Bindeglied zwischen Schule und Sport fungiert, Hausaufgabenbetreuung etc. pp … Hört sich großartig an und ich bin happy, viele Aufgaben abgeben zu können.

Die ersten Risse zeigen sich

Doch bevor die Saison richtig beginnt, merken wir, dass vieles für Joshua und uns nicht zutrifft. Der Fahrdienst zum Training greift nicht, da er zum vereinbarten Treffpunkt noch im Unterricht sitzt, Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfeangebote sind an den Tagen, an denen er bis 16.00 Uhr in der Schule ist. Die physiotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten sind nach einer langen Verletzungsphase nicht individuell genug und es zeigt sich besonders hier, dass der Blick auf den Einzelnen nicht machbar ist. Um nur ein paar Aspekte zu nennen …

Es braucht mehr Personal

Den Spieler auch über den Sport hinaus zu betreuen, ist ein wichtiger Gedanke und ich kann den Wunsch dahinter sehr gut verstehen.

Doch kann er vom Personalschlüssel, der in einem NLZ vorhanden ist, meist nicht gestemmt werden.

Ähnlich wie in Schulen, Kindergärten, wo viel zu viele Kinder auf eine(n) Lehrer*in/Erzieher*in kommen.

Bleiben wir mal im Kontext Schule vs. NLZ

In jeder Mannschaft geht meist eine Handvoll Spieler auf sogenannte Kooperationsschulen. Sie arbeiten eng mit dem NLZ zusammen, die Lehrer*innen kennen den NLZ-Betrieb, wissen, dass der Verein Freistellungen für Spiele, Turniere oder Trainingscamps beantragt und organisieren gemeinsam das Nachschreiben von Arbeiten, die auf Grund von besagten Freistellungen nicht mitgeschrieben werden konnten.

Die anderen Spieler bleiben meist auf ihren Schulen und müssen die Schul- und Trainingsanforderungen selbst organisieren und stemmen.

Was meist nur mit Unterstützung durch Eltern und Familie möglich ist.

Unser Sohn gehört zu der letzten Gruppe und ich kann sagen, dass es super anstrengend für ihn und mich ist (ich bin die „pädagogische Leiterin“ in unserer Familie 😉 ), zwei Welten miteinander zu verbinden, die wenig voneinander wissen.

Hier ist schnell das Kind in den Brunnen gefallen, wenn Eltern der Aussage des NLZs folgen, dass sie sich um alles kümmern werden. Wenn nicht genug Manpower da ist, führt es zwangsläufig dazu, dass Eltern einspringen müssen.

2. Eltern wollen wir nicht im NLZ haben

Eine Aussage, die für mich 2022 nicht mehr realistisch ist und nicht zum Bedarf passt. Der Nachwuchsfußball hat sich in den letzten Jahren so extrem weiterentwickelt, dass die zusätzlichen Anforderungen das NLZ, das Trainerteam, Abteilungsleiter*innen und Spieler alleine nicht bewältigen können, um den Spieler erfolgreich auszubilden. Denn das ist das Hauptziel der NLZ-Arbeit.

Um hier das Optimum herauszuholen, sollten alle verfügbaren Ressourcen genutzt werden. Auch die der Eltern.

Eltern sind keine „Fußball-Experten

Die Sportpsychologin Valeria Eckardt hat im Juni 2020 eine Elternbefragung zum Thema Stressoren von Eltern im NLZ-Fußball durchgeführt. Neben vielen Faktoren wurde u. a. auch die fehlende Transparenz und Kommunikation zwischen Eltern und Trainer*innen genannt.

Damit Eltern optimal ihr Kind begleiten können und dich in deiner Arbeit unterstützen können, brauchen sie Wissen. Das bekommen sie nur, wenn du ihnen das zur Verfügung stellst.

Je transparenter und strukturierter du ihnen Infos gibst, desto eher machst du sie zu einem kompetenten Unterstützer deiner Arbeit. Vor allem in den Bereichen, die außerhalb des Fußballplatzes liegen. Denn mit denen sehen sich viele Eltern/Familien konfrontiert, auch wenn ihr Sohn schon volljährig ist. Die, die nicht im Internat oder bei Gastfamilien leben, wohnen größtenteils noch zu Hause.

Eltern ins Boot zu holen, bietet Mehrwert für alle

Wir gehen eher in die Veränderung, wenn wir wissen, was für uns am Ende herausspringt. Nachfolgend habe ich daher ein paar positive Faktoren aufgeführt, die sich entwickeln werden, wenn du die Spielereltern in die NLZ-Arbeit einbindest.

InsNetzgegangen_NLZ_Trainer©Alliance Football Club/Unsplash

Für den Verein/Trainer*in:

  • Trainer*innen haben weniger mit „fragenden“ Eltern zu tun.
  • Trainer*innen können sich besser auf ihre Arbeit fokussieren.
  • Trainer*innen erhalten Unterstützung durch Eltern, da sie die Zusammenhänge besser verstehen.
  • Gut informierte Eltern sind Multiplikatoren für das nächste NLZ.

Für den Spieler:

  • Der Spieler steht weniger im Spannungsdreieck zwischen Eltern – Spieler – Trainer.
  • Der wegfallende Stress ist weniger leistungslimitierend.
  • Der Spieler kann sich besser auf seine Ausbildung im Fußball und Schule konzentrieren.
  • Der Spieler hat auch in den Eltern eine kompetente Unterstützung.

Für die Eltern:

  • Eltern wissen, was auf sie und ihren Sohn im NLZ zukommt.
  • Eltern erhalten kompetentes Wissen.
  • Eltern können angstfreier die NLZ-Welt erleben.
  • Eltern können Entscheidungen besser nachvollziehen.
  • Eltern können in stressigen Momenten (Verletzungen, Kaderaufstellung etc.) ihr Kind im Sinne des Trainers unterstützen.

3. Für die Umsetzung ist der Wille wichtig

Die wichtigste Voraussetzung mit den Eltern erfolgreich zusammenzuarbeiten, ist der Wunsch, es wirklich zu wollen. Bei einer Einzelperson spreche ich von Veränderung des Mindsets, in einem Verein von der Philosophie.

Jedes noch so toll entwickelte Konzept ist hinfällig, wenn es nicht in die Tat umgesetzt wird.

Ich erlebe in meiner Arbeit oft, dass Vereine (Nachwuchs- wie Amateurvereine) wunderbare Statuten auf ihren Homepages verfasst haben. Schauen wir uns dann die Realität an, ist sie oftmals ganz anders. Das was auf der Homepage steht, wird nicht auf und neben dem Platz gelebt.

Weil nicht wirklich der Wunsch der Zusammenarbeit da ist.

Viele wissen nicht, wie sie mit Eltern zusammenarbeiten wollen und können, wie sie mit ihnen ins Gespräch dazu gehen, kennen die positiven Effekte der Zusammenarbeit nicht, hängen noch an den negativen Erfahrungen der Vergangenheit fest und tun lieber gar nichts.

Nur ist das nicht mehr zeitgerecht.

Egal, wo du mit deinem NLZ stehst: Mit dem entsprechenden Konzept, den nötigen Informationen und der personellen Unterstützung kann jedes Nachwuchsleistungszentrum die Eltern in ihre Arbeit einbeziehen und braucht keine Sorge zu haben, ihre (Macht-)Position zu verlieren.

Mein Fazit: Im heutigen Nachwuchsfußball sind Eltern unverzichtbar und ein wichtiger Baustein. Mit den nötigen Strukturen und personellen Ressourcen ist eine kompetente Zusammenarbeit möglich, um den Sportler noch erfolgreicher auszubilden.

Konnte ich dich von den Vorteilen der Zusammenarbeit mit den Spielereltern überzeugen oder arbeitest du bereits mit ihnen zusammen und magst deine Erfahrungen mit uns teilen?

Hinterlasse mir gerne einen Kommentar!