Wie kann Integration durch Fußball gelingen?

 

Letzte Woche durfte ich den HOPE TALK im Rahmen des Projektes FU24BA7L moderieren. Darin haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wie Integration, Bildung und Chancengerechtigkeit durch und im Fußball gelingen können.

Mit dabei waren Sebastian Koerber, Geschäftsführer der RheinFlanke; Ina Bargmann, Dachverband Lernort Stadion e.V.; Karim Khattab, Publizist, Kommunikationswissenschaftler, Autor des Podcasts Schwarz-Rot-Gold – Mesut Özil zu Gast bei Freunden; Mariam Katongole, Diplom-Pädagogin für Erwachsenenbildung und außerschulische Jugendbildung bei der RheinFlanke; Abdul Nawid Yaqoobi, Fußballer und Kapitän der U19 III ESV Olympia Köln und Valentin Graef, freiberuflicher Transformations- und Nachhaltigkeitsbegleiter in der Jugendbildung.

Integration, Bildung und Chancengerechtigkeit sind wichtige Faktoren für eine inklusive Gesellschaft, in der es um die Teilhabe aller und das Ausschöpfen der Potenziale des Einzelnen geht. Der Fußball kann dabei eine bedeutende Rolle spielen. Es war eine interessante und sehr bereichernde Gesprächsrunde, in der jede(r) die eigenen Erfahrungen und Blickwinkel geteilt hat.

In meinem heutigen Artikel möchte ich ein paar Impulse daraus mit dir teilen und über den Mehrwert des Fußballs neben dem Platz schreiben.

Willst du lieber hören statt lesen? Dann findest du hier die dazugehörige Podcast-Episode: 

Wir bieten jungen Menschen Chancen

Wir sprechen häufig davon, dass Integration durch den Fußball gelingt und wie wichtig er ist. Gerade im Kinder- und Jugendfußball treffe ich auf viele Vereine, die von sich sagen, dass sie mittlerweile mehr Sozialarbeiter*innen statt Trainer*innen sind. Denn die gesellschaftlichen Herausforderungen finden sich auch hier wieder.

Genau diese Arbeit können Vereine nicht leisten. Davon ist auch Sebastian Koerber überzeugt. Er sagt: Für eine gute Integration im organisierten Sport braucht es die Jugendhilfe! 

Zusammen mit seinem Kollegen Christoph Bex hat er vor 18 Jahren die RheinFlanke in Köln gegründet. Die vielfach ausgezeichnete Trägerin für sportbezogene Jugend- und Bildungsarbeit bietet pädagogische Maßnahmen, mit denen sie junge Menschen mit Migrationshintergrund und aus sozial benachteiligten Lebensumständen in Schulen und Vereinen unterstützen. Dabei werden soziale Lernprozesse wie Teambildung, Jobcoaching, Zeitmanagement, Werte und Regeln angestoßen, die Eigenverantwortung und Selbstbewusstsein stärken. Insbesondere der Fußball dient dabei als niederschwelliger Motor für Integration und Inklusion

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©Christian Schürmann/We Own You GmbH

Für ihn ist ganz klar, dass das Ehrenamt im Amateurfußball diese Arbeit nicht leisten kann. Daher braucht es Kooperationen zwischen Vereinen und Jugendhilfeträger*innen, die mit ihrem Hauptamt das Ehrenamt unterstützen. Eine solche Zusammenarbeit ist die RheinFlanke vor einiger Zeit mit ESV Olympia Köln eingegangen, um über den Fußball den Kontakt zu den Spieler*innen aufzubauen und sie mit lebenspraktischer Beratung und Unterstützung zu begleiten.

 

Integration braucht Vertrauen 

Dass es nicht immer den aktiven Fußball braucht, sondern auch das Umfeld genutzt werden kann, zeigt die Arbeit vom Lernort Stadion e.V. Sie nutzen das Fußballstadion für ihre Arbeit. Das Interesse bei den Teilnehmer*innen ihrer Projekte ist groß, ist das Fußballstadion ein Ort, an den sie so nie kommen würden – einen Blick in die Kabinen werfen, auf der Trainerbank sitzen oder am „heiligen Rasen“ stehen.

Unter dem Dachverband finden sich mittlerweile 26 Lernzentren, deren Träger häufig die Fanprojekte der Bundesligavereine, vereinzelt auch die Vereine selbst sind. Seit 2009 liegt der Fokus auf politischer Bildungsarbeit für sozial benachteiligte und in sozial schwierigen Situationen lebende Jugendliche. Ihr Ziel ist es, den jungen Menschen zu vermitteln, dass ihre Meinung zählt, sie gehört werden und sich das Engagement für eine offene und vielfältige Gesellschaft lohnt. Die Angebote finden außerschulisch statt, um aus dem Schulkontext und damit auch aus der Bewertung herauszukommen.

Für ihre Arbeit ist Vertrauen extrem wichtig, sagt Ina Bargmann. Daher kommt dem Beziehungsaufbau ein bedeutender Stellenwert zu. Denn ohne den geht nichts, da viele junge Menschen Diskriminierungserfahrungen haben und traumatisiert sind. Sie müssen sich zuallererst sicher fühlen, um die Kraft und Ressourcen zu haben, sich mit Themen wie Aufklärung & Mündigkeit, Teilhabe & Partizipation, Vielfalt & Nachhaltigkeit sowie Extremismus- & Gewaltprävention zu beschäftigen.

 

Gesunde Ernährung ist Resilienz

Für Mariam Katongole spielt eine gute Ernährung und Resilienz eine wichtige Rolle für eine erfolgreiche Integration. Denn ernähre ich mich so, wie ich es brauche, gibt mir das Kraft und macht mich stark, um gut durch meinen Alltag zu gehen. Das Essen, das ich von zuhause kenne, gibt Sicherheit und ist Balsam für die Seele. 

Viele Jugendliche kommen unbegleitet, alleine ohne Familie nach Deutschland. Sie erhalten eine Unterkunft, Unterstützung bei der Schule/Ausbildung, dem Erlernen der deutschen Sprache und auch für ihr leibliches Wohl wird gesorgt. Doch meistens mit „deutscher Kost“. Diese doch sehr kohlenhydratreiche Nahrung mit viel Brot, vertragen viele jedoch nicht. Statt zu fragen, was sie brauchen, werden ihnen Medikamente bei Magen-Darm-Problemen verabreicht.

Genau das macht Mariam in ihren Workshops. Sie stellt Fragen und findet zusammen mit ihren Teilnehmer*innen Antworten, wo sie die Lebensmittel bekommen, die sie brauchen, kennen und vertragen. Sie wünscht sich, dass sich die Gesellschaft mehr an den Bedarfen der Geflüchtete und Menschen aus sozial schwachen Familien orientiert, die Perspektive wechselt und überlegt, was sie bräuchten, wären sie in einer vergleichbaren Situation und würden in ein anderes/fremdes Land kommen. (Ich kenne viele, die im Ausland erst einmal nach einem guten Bäcker Ausschau halten :-).) Dazu in den gemeinsamen Austausch zu gehen, hilft den anderen zu verstehen und kennenzulernen und zu erkennen, dass nicht alle gleich sind.

 

Nur die Sprache alleine reicht nicht

Eine ähnliche Erfahrung bezüglich Ernährung macht auch Abdul Nawid Yaqoobi. Er ist 18 Jahre und 2021 alleine aus Afghanistan nach Köln zu seinem Onkel gekommen, der damals bereits seit 8 Jahren in Deutschland lebte. Mittlerweile wohnt Abdul in einem Jugendwohnheim, in dem er gerne lebt, sich jedoch wünschen würde, dass es ein bisschen mehr Gemüse gäbe, da er nicht alles gut verträgt.

Weil er Fußball spielen wollte, hat er durch Freunde die RheinFlanke kennengelernt. Mittlerweile ist er Kapitän der U19 III des ESV Olympia Köln. Durch den Sport hat er Freunde gefunden, hat schnell die Sprache gelernt, da das Trainerteam und seine Mitspieler untereinander nur Deutsch sprechen.

Doch der Satz „Du musst die Sprache können, wenn du dich integrieren willst“ reicht nicht. Schule sowie Werte und Regeln sind ebenso wichtig.

Durch den Fußball hat er beispielsweise Pünktlichkeit gelernt, fürs Zuspätkommen zum Training oder Spiel sind nämlich Liegestütze fällig …  

 

Integration geht uns alle an

Aus einer anderen und eigenen Perspektive hat sich Karim Khattab den Themen Integration und Bildung genähert. Er ist in Kairo geboren, lebt seit seinem zweiten Lebensjahr in Deutschland und ist in Baden-Württemberg groß geworden.

Seine Mutter ist Deutsche, sein Vater Ägypter. Er hat in seinem Podcast Schwarz-Rot-Gold – Mesut Özil zu Gast bei Freunden den Lebensweg des Fußballers aufgezeichnet: Enkel der ersten Gastarbeiter*innen, Weltfußballer, Träger des BAMBI-Integrationspreises, Foto mit Erdogan, Austritt aus der Nationalmannschaft und Tattoo der Grauen Wölfe, einer rechtsextremen, nationalistischen Vereinigung … Anfangs als gut integriert ausgezeichnet, wird bei Özil seit 2018 von gescheiterter Integration gesprochen.

Karim hat selbst erfahren, wie es ist auf einmal mit dem Thema Integration konfrontiert zu werden. Bis 2001 wuchs er in dem Wissen auf, hierher zu gehören. Vor allem seine Mutter hat ihn darin immer gestärkt. Durch 9/11 ändert sich von einem Tag auf den anderen alles. Er wird plötzlich Arabisch gelesen, in der Schule anders wahrgenommen, es wird von „ihr Arabern“ gesprochen, obwohl er das Bild nicht erfüllen kann, noch nicht einmal die Sprache spricht. In den Jahren danach lernt Karim Arabisch, reist regelmäßig nach Kairo, lernt die Bräuche, doch wird er auch in Ägypten nur europäisch gelesen. Mittlerweile beschreibt er sich als „halb halb“ und es ist okay für ihn, keine klare Identität zu haben. Dass er an der gesellschaftlichen Ablehnung nicht komplett gescheitert ist, sieht er in dem Privileg, in Deutschland aufgewachsen zu sein mit einer deutschen Mutter. Gleichzeitig weiß er aber auch, dass viele diese Voraussetzungen nicht haben und daran scheitern.

Karim sagt, dass sich Integration, Bildung und Chancengerechtigkeit nicht nur auf Migrant*innen und Schutzsuchende beziehen, die nach Deutschland kommen, sondern sind Teil unserer multikulturellen Gesellschaft und gehen uns alle an. 

 

Integration geht nicht alleine

Für Valentin Graef ist klar, dass Integration nicht alleine geht. Durch häufige Schulwechsel hat er erfahren können, wie leicht er in der neuen Klasse ankam, wenn die Mitschüler*innen ihn angesprochen und eingebunden haben. Es braucht ein Gegenüber, das an der Person interessiert ist und einen Unterstützer/eine Unterstützerin, um das Gefühl er Zugehörigkeit zu erleben.

Als Gesellschaft müssen wir den Blickwinkel ändern, unsere Willkommenskultur überdenken und Integration als Bereicherung sehen. 

In seiner freiberuflichen Arbeit sensibilisiert Valentin junge Menschen, ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten und die Verantwortung für eine demokratische und friedliche Gesellschaft zu übernehmen.

Ein Kernelement ist dabei die Erlebnispädagogik und Partizipation: junge Menschen zu fragen, was sie wollen/brauchen, sie mitentscheiden und eigene Erfahrungen machen zu lassen. Das stärkt sie und erhöht ihre Bereitschaft, sich nachhaltig zu engagieren. Den Fußball sieht er dabei als geringe Einstiegshürde, denn es braucht nur einen Ball oder eine Dose und ein paar Spieler*innen.

 

Mein Fazit:

Ja, der Fußball spielt eine bedeutende Rolle für Integration, Bildung und Chancengerechtigkeit und vermittelt jungen Menschen, teils als „Steigbügel“, wertvolle Kompetenzen, damit die inklusive Gesellschaft durch die Teilhabe aller weiter gestärkt wird. Es zeigt sich aber auch, dass er alleine diese Aufgabe nicht stemmen kann, hier braucht es weitere Unterstützungen und Kooperationen. Darüber hinaus glaube ich, dass es notwendig ist, öfter die Perspektive der Menschen einzunehmen, die bei uns Schutz suchen, um ihre Bedarfe kennenzulernen und entsprechend umzusetzen. 

Wo ist für dich der Fußball ein hilfreiches Werkzeug für Integration? Schicke mir gerne eine Mail und ich bin gespannt auf deine Antwort …