Der Spagat zwischen Schule und Fußball
„Dein Sohn spielt aber nur so zum Spaß Fußball, oder?“, „Der will doch wohl kein Profi werden!“, „Wie klappt das denn mit der Schule?“ bis hin zu der Aussage eines Lehrers „Wenn Sie Ihren Sohn in dem Maße Fußball spielen lassen, dann kann das mit der Schule nicht klappen. Das muss Ihnen doch wohl klar sein.“ sind Statements, die mir in den letzten Jahren begegnen. Und ich kann sie nach mehr als zehn Jahren nicht mehr hören…
In Gesprächen mit Freunden stelle ich immer wieder fest, wie sehr Schule Emotionen bindet und wie eng der schulische Erfolg mit der Anerkennung als Eltern gekoppelt ist.
Es ist unglaublich wie sehr unser Seelenheil mit guten Noten und Erfolg in der Schule verknüpft ist. Nicht nur wir sollen erfolgreich sein, unsere Kinder bitte schön auch. Ob wir gute Eltern sind, sprich unseren Job so machen, wie die Umwelt es von uns verlangt, entscheidet ihr schulischer Erfolg. Die sollen nämlich Leistung bringen, wohl geraten sein und immerzu perfekt. Und was wir dafür alles tun…
Kontinuierliche Nachhilfe ab der Grundschule, obwohl die Noten befriedigend sind. Projektarbeiten, in denen Eltern ihre Kinder nicht unterstützen, sondern diese für sie schreiben, damit die volle Punktzahl erreicht wird. Wohlgemerkt aus Sorge der Eltern und nicht auf Wunsch der Kinder.
Eltern, die häufiger mit den Lehrern ihrer Kinder telefonieren, als mit ihrer besten Freundin, um im ständigen Austausch zu sein. Die Liste der wahnwitzigen Momente könnte ich noch weiter fortführen und das nicht erst seit PISA…
So weit das „normale“ Schulleben. Bei einem Fußballer kommt zur Schule noch der Fußball hinzu. Bei einem B-Jugendspieler in einem Nachwuchsleistungszentrum bis zu 30 Wochenstunden inkl. Training, Spielen und Anfahrten. Das ist mehr als ein normaler Arbeitstag. Als Arbeitnehmerin würde ich stöhnen…
Diese Jungs machen das freiwillig, weil es ihre Leidenschaft ist. Und wir als Eltern und Familie tragen das mit. Versuchen den „Mittelweg“ zwischen Kür und Pflicht zu finden. Fühlen uns ständig im Zwiespalt von wie viel Fußball kann sein und wie viel Schule muss sein.
So unterschiedlich jeder einzelne von uns ist, so unterschiedlich kommt er auch mit der Doppelbelastung zurecht. Es gibt Jungs, die gehen da galant durch, andere tun sich schwer. Und wieder andere sehen früh die Schule als nötiges Übel an.
„Leichter vielleicht, besser auf keinen Fall!“ ist bis heute meine Haltung. Ich glaube nicht daran, dass das Beschneiden seines Sports unseren Sohn zu einem besseren Schüler machen wird. Denn der Unterschied zwischen Schule und Fußball zeigt sich bei ihm schon recht früh: seine intrinsische Motivation für den Sport. Aus sich selbst heraus und für sich selbst das Beste aus sich herauszuholen. Diese Motivation entwickelt er in all den Jahren nur schwer für die Schule. Hier ist er extrinsisch gesteuert – durch die Schule und meinem Mann und mich. Unser Dauerleitspruch
„Sobald die Schule problematisch wird, wirst Du weniger Zeit in den Fußball investieren.“
fruchtet nur in einem bestimmten Alter. Ich bin kein Freund von Druck, von „…wenn, dann…“, weiß aber auch, dass es manchmal notwendig ist. Versuche mehr die Eigenverantwortung und Eigenständigkeit zu stärken, damit unser Sohn für sich herausfindet, was er möchte. Beispielsweise nicht in eine Kooperationsschule des Nachwuchsleistungszentrum zu gehen, um nicht ganz vom Fußball vereinnahmt zu werden. Für viele Spieler macht die enge Verknüpfung von Schule und Fußball das Leben leichter, einige tun sich dennoch schwer.
Je älter unser Sohn wird, je höher die Ansprüche im Fußball, desto mehr wird das Schulleben ein Kraftakt für uns beide. Ich will das Fachabitur oder Abitur, finde es wichtig als Basis für den späteren Werdegang. Aber was will mein Sohn?
Viele Verantwortliche im Jugendfußball betonen, wie wichtig die Schule ist. Ich frage mich, ob es in der Realität wirklich so gelebt wird. Gibt es doch viele erfolgreiche Fußballer, die die Schule mit dem Hauptschul- und Realschulabschluss beendet haben oder den praktischen Teil des Fachabiturs noch nachholen müssen. Oder dem Fußball zuliebe auf das Abitur verzichten.
Schau ich über den sportlichen Tellerrand hinaus, gehört Steffi Graf zu denjenigen, die mit 14 Jahren die Realschule verlassen hat und privat unterrichtet wurde. Oder Franziska van Almsick, die sich nach der 12. Klasse fürs Schwimmen entschied und das in einem Interview auf den Punkt bringt:
[…] ich habe damals meiner Mutter gesagt, meinen Sport kann ich nicht nachholen. Das Abitur kann ich irgendwann nachholen […] habe das meinen Eltern versprochen und durfte dann die Schule abbrechen […]
Ein Aspekt, der ab einem bestimmten Leistungsniveau – egal, ob es um Sport, Musik, Schauspielerei oder andere Talente geht – wichtig wird. Wie die Entscheidung dann ausfällt und ob sie die Richtige ist, weiß man eh erst immer später…
Doch gehört es zum Elternsein auch, meinen Kindern die Freiheit zu lassen, ihre Wege für sich auszuloten. Auch wenn sie dabei nicht meinen Wunschweg einschlagen. Mit der Auswahl und vor allem dem Ausleben seines Hobbys hat unser Sohn schon eine andere Wahl als viele gleichaltrige Jugendliche getroffen und den gradlinigen Weg verlassen…
Mehr zu meinen Erfahrungen und Gedanken findet Ihr in meinem Buch Ins Netz gegangen – Mein Leben mit einem Nachwuchskicker zwischen Schulbank und Torjubel .
Ach, dieser Artikel spricht mir aus der Seele!
Meiner Meinung nach wird der schulischen Ausbildung sowieso viel zu viel Wert beigemessen. Vor allem wenn man sieht, was die Kinder/Jugendlichen zu lernen haben und mit welchen Methoden die ganze Gesellschaft versucht, den Kindern Wissen einzutrichtern. Von dem sie vermutlich nur einen Bruchteil behalten ;-). Oder glauben wir wirklich, dass das Auswendiglernen irgendwelcher Jahreszahlen oder Nachbeten der verschiedenen Gesteinsschichten unsere Kinder für’s Leben bildet?
Und um was geht es letztendlich? Meiner Meinung nach geht es hauptsächlich um sozialen Status! Ein Kind ohne Abschluss wird am unteren Rand der Gesellschaft einsortiert ohne wirklich zu wissen, ob es klug oder nicht klug ist. Und das wollen wir als Eltern natürlich nicht. Für uns nicht und nicht für unsere Kinder.
Wenn ein Kind nun die Schule hinten an stellt um Sportprofi, SchauspielerIn, MusikerIn o.ä. zu werden, hängt es nun stark davon ab, ob es klappt mit der Karriere. Wenn ja ist alles gut und kein Mensch fragt mehr nach der Schulbildung. Wenn nicht, sind die Eltern schuld. Aber tatsächlich ist unser Schulsystem ja so durchlässig, dass quasi in jeder Lebenslage und Altersstufe noch sämtliche Schulabschlüsse nachgeholt werden können.
Also, warum lassen wir unsere Kinder nicht ihren Traum verfolgen? Auch da werden sie für’s Leben lernen. So oder so.
Liebe Karin,
lieben Dank für Deinen Kommentar und ich kann Dir nur zustimmen. Und die Noahs und Joshuas dieser Welt werden ihren Weg gehen… 🙂