Der Spagat zwischen Schule und Fußball 

„Dein Sohn spielt aber nur so zum Spaß Fußball, oder?“, „Der will doch wohl kein Profi werden!“, „Wie klappt das denn mit der Schule?“ bis hin zu der Aussage eines Lehrers „Wenn Sie Ihren Sohn in dem Maße Fußball spielen lassen, dann kann das mit der Schule nicht klappen. Das muss Ihnen doch wohl klar sein.“ sind Statements, die mir in den letzten Jahren begegnen. Und ich kann sie nach mehr als zehn Jahren nicht mehr hören…

Schule per se ist in unserer Gesellschaft ein emotionales Thema. Fußball und Schule unter einen Hut zu bekommen, für mich eine beständige Herausforderung bis ans Limit.
In Gesprächen mit Freunden stelle ich immer wieder fest, wie sehr Schule Emotionen bindet und wie eng der schulische Erfolg mit der Anerkennung als Eltern gekoppelt ist.
Bin ich eine schlechte Mutter, weil mein Sohn kein Einser-Kandidat ist?
Tue ich wirklich alles dafür, dass er erfolgreich ist?
Hätte ich ihn bereits im Kindergarten in den Englischkurs stecken sollen? Natürlich ganz spielerisch!
Sollten wir monatlich das Schulgeld für die Privatschule zusammenkratzen, damit der erfolgreiche Abschluss garantiert ist?

Es ist unglaublich wie sehr unser Seelenheil mit guten Noten und Erfolg in der Schule verknüpft ist. Nicht nur wir sollen erfolgreich sein, unsere Kinder bitte schön auch. Ob wir gute Eltern sind, sprich unseren Job so machen, wie die Umwelt es von uns verlangt, entscheidet ihr schulischer Erfolg. Die sollen nämlich Leistung bringen, wohl geraten sein und immerzu perfekt. Und was wir dafür alles tun…

Kontinuierliche Nachhilfe ab der Grundschule, obwohl die Noten befriedigend sind. Projektarbeiten, in denen Eltern ihre Kinder nicht unterstützen, sondern diese für sie schreiben, damit die volle Punktzahl erreicht wird. Wohlgemerkt aus Sorge der Eltern und nicht auf Wunsch der Kinder.
Eltern, die häufiger mit den Lehrern ihrer Kinder telefonieren, als mit ihrer besten Freundin, um im ständigen Austausch zu sein. Die Liste der wahnwitzigen Momente könnte ich noch weiter fortführen und das nicht erst seit PISA

Was bedeutet das für die Entwicklung unserer Kinder? Dass sie nur mit extremer Unterstützung leistungsfähig sein können? Dass sie nur erfolgreich sind, weil der Druck von außen so stark ist? Wo bleibt die Selbstständigkeit? Der Raum eigene Erfahrungen zu sammeln? Eigene Ideen zu entwickeln und unter Umständen andere Wege zu gehen als von den Eltern, der Gesellschaft gewünscht?
Gerade Lebenserfahrungen – positive wie negative – machen uns als Person aus, geben uns Impulse für unseren nächsten Schritt. Machen uns zum Individuum.

So weit das „normale“ Schulleben. Bei einem Fußballer kommt zur Schule noch der Fußball hinzu. Bei einem B-Jugendspieler in einem Nachwuchsleistungszentrum bis zu 30 Wochenstunden inkl. Training, Spielen und Anfahrten. Das ist mehr als ein normaler Arbeitstag. Als Arbeitnehmerin würde ich stöhnen…

Diese Jungs machen das freiwillig, weil es ihre Leidenschaft ist. Und wir als Eltern und Familie tragen das mit. Versuchen den „Mittelweg“ zwischen Kür und Pflicht zu finden. Fühlen uns ständig im Zwiespalt von wie viel Fußball kann sein und wie viel Schule muss sein.
So unterschiedlich jeder einzelne von uns ist, so unterschiedlich kommt er auch mit der Doppelbelastung zurecht. Es gibt Jungs, die gehen da galant durch, andere tun sich schwer. Und wieder andere sehen früh die Schule als nötiges Übel an.

In der Grundschule ist es noch das Hobby unseres Sohnes, was in den Familienalltag integriert wird. In der weiterführenden Schule und dem Wechsel in eine Fußballschule werde ich zum Kameltreiber:
Schaue, dass die Hausaufgaben gemacht werden. Erinnere, dass die nächste Arbeit ansteht. Unterstütze, dass die Vokabeln gelernt werden. Führe vier Mal im Jahr die immer gleichen Elterngespräche mit den Lehrern darüber, ob es nicht leichter wäre, wenn unser Sohn weniger Fußball spielen würde.

„Leichter vielleicht, besser auf keinen Fall!“ ist bis heute meine Haltung. Ich glaube nicht daran, dass das Beschneiden seines Sports unseren Sohn zu einem besseren Schüler machen wird. Denn der Unterschied zwischen Schule und Fußball zeigt sich bei ihm schon recht früh: seine intrinsische Motivation für den Sport. Aus sich selbst heraus und für sich selbst das Beste aus sich herauszuholen. Diese Motivation entwickelt er in all den Jahren nur schwer für die Schule. Hier ist er extrinsisch gesteuert – durch die Schule und meinem Mann und mich. Unser Dauerleitspruch

„Sobald die Schule problematisch wird, wirst Du weniger Zeit in den Fußball investieren.“

fruchtet nur in einem bestimmten Alter. Ich bin kein Freund von Druck, von „…wenn, dann…“, weiß aber auch, dass es manchmal notwendig ist. Versuche mehr die Eigenverantwortung und Eigenständigkeit zu stärken, damit unser Sohn für sich herausfindet, was er möchte. Beispielsweise nicht in eine Kooperationsschule des Nachwuchsleistungszentrum zu gehen, um nicht ganz vom Fußball vereinnahmt zu werden. Für viele Spieler macht die enge Verknüpfung von Schule und Fußball das Leben leichter, einige tun sich dennoch schwer.

Je älter unser Sohn wird, je höher die Ansprüche im Fußball, desto mehr wird das Schulleben ein Kraftakt für uns beide. Ich will das Fachabitur oder Abitur, finde es wichtig als Basis für den späteren Werdegang. Aber was will mein Sohn?

Viele Verantwortliche im Jugendfußball betonen, wie wichtig die Schule ist. Ich frage mich, ob es in der Realität wirklich so gelebt wird. Gibt es doch viele erfolgreiche Fußballer, die die Schule mit dem Hauptschul- und Realschulabschluss beendet haben oder den praktischen Teil des Fachabiturs noch nachholen müssen. Oder dem Fußball zuliebe auf das Abitur verzichten.

Schau ich über den sportlichen Tellerrand hinaus, gehört Steffi Graf zu denjenigen, die mit 14 Jahren die Realschule verlassen hat und privat unterrichtet wurde. Oder Franziska van Almsick, die sich nach der 12. Klasse fürs Schwimmen entschied und das in einem Interview auf den Punkt bringt:
[…] ich habe damals meiner Mutter gesagt, meinen Sport kann ich nicht nachholen. Das Abitur kann ich irgendwann nachholen […] habe das meinen Eltern versprochen und durfte dann die Schule abbrechen […]

Ein Aspekt, der ab einem bestimmten Leistungsniveau – egal, ob es um Sport, Musik, Schauspielerei oder andere Talente geht – wichtig wird. Wie die Entscheidung dann ausfällt und ob sie die Richtige ist, weiß man eh erst immer später…

Schule und Fußball lehrt mich auf jeden Fall etwas ganz Wichtiges:
Als Mutter habe ich ein Bild davon, was ich mir für unsere Kinder wünsche. Meine Aufgabe sehe ich darin, unseren Sohn auf dem Pfad zu halten, die unliebsame schulische Ausbildung nicht aus dem Auge zu verlieren. Ihn so lange zu begleiten, wie er meine Unterstützung braucht.

Doch gehört es zum Elternsein auch, meinen Kindern die Freiheit zu lassen, ihre Wege für sich auszuloten. Auch wenn sie dabei nicht meinen Wunschweg einschlagen. Mit der Auswahl und vor allem dem Ausleben seines Hobbys hat unser Sohn schon eine andere Wahl als viele gleichaltrige Jugendliche getroffen und den gradlinigen Weg verlassen…

Mehr zu meinen Erfahrungen und Gedanken findet Ihr in meinem Buch Ins Netz gegangen – Mein Leben mit einem Nachwuchskicker zwischen Schulbank und Torjubel .