Fußball ist Leidenschaft –

Das muss ich mühsam erlernen

Ich verstehe nicht, warum zehn Spieler hinter einem Ball herlaufen und einer das Tor bewacht? Warum Männer weinen, wenn der Lieblingsverein aus der Champions League fliegt? Wie ein Spieler mehrere Millionen Euro wert sein kann?

Ich habe erst vor ein paar Jahren gelernt, dass in einer Mannschaft auf verschiedenen Positionen gespielt wird. Dass ein Linksfuß jemand ist, der mit dem linken Fuß schießt. Dass bei einem Derby zwei Mannschaften aus dem Revier aufeinandertreffen.

Ich verstehe ganz viele Dinge im Fußball nicht. Der Fußball ist nicht meins…

Dafür aber die Welt meines Sohnes. Und das seit mehr als zehn Jahren und mit Haut und Haaren.

Das erste Trikot bekommt er mit drei. Die kleinsten Torwarthandschuhe sind so groß, als hätte er Tellerminen an den Händen. Bei Wind und Wetter kickt er im Garten. Zu jedem Anlass wünscht er sich irgendetwas mit Fußball.
Wutanfälle machen ihn zeitweise zum Schrecken auf den Kindergeburtstagen, wenn die anderen nicht den ganzen Nachmittag Lust auf das runde Leder haben.

Er ist glücklich, wenn er zum Training geht. Ein Trainingscamp sorgt schon Wochen vorher für große Aufregung. Sein Tag ist oft länger als mein Arbeitstag, wenn er direkt nach dem Unterricht zum Training flitzt und erschöpft, aber zufrieden abends nach Hause kommt. Er verzichtet auf das „Um die Häuser ziehen“ mit seinen Freunden, wenn er am nächsten Morgen im Kader steht. Er trifft sich mit seinem Athletiktrainer um 6.45 Uhr vor der Schule, während ich mich noch mal umdrehe.

Für ihn ist Fußball seine Leidenschaft.

Mehr als 2 Millionen Jugendspieler sind in Vereinen organisiert. Der Profifußball erwirtschaftet 2014 7,9 Milliarden Euro. Jeder Dritte in Deutschland bezeichnet sich als Fußballfan, 55% Männer und 16% Frauen.

Ich gehöre eindeutig nicht dazu.

Aber was machst Du als Mutter, wenn Dein Sohn etwas über alles liebt?
Am Anfang ist mir das Mass ja noch gar nicht bewusst. Zweimal in der Woche im Verein kicken verbuche ich unter nettem Hobby: „Hauptsache der Junge hat Spaß.“ Und genau das ist es, was mich immer weiter in den Fußballschlund zieht. Der Spaß, die Begeisterung, die Zufriedenheit und die leuchtenden Augen unseres Sohnes. Mich faszinieren Menschen, die für etwas brennen. Die etwas gefunden haben, was sie bis in die Haarspitzen elektrisiert.

Ich entscheide mich, dem Ruf des Fußballs zu folgen. Wobei das kein klarer Entschluss ist. Ich sitze nicht morgens am Frühstück und sage: „Ab heute interessiere ich mich für Fußball.“ Es ist eher unbewusst.
Ich lasse mich von meinen Sohn an die „Hand nehmen“ und tauche mit ihm in seinen Kosmos ein.
Wie mit so vielen Dingen im Leben geschieht das nicht von jetzt auf gleich. Ich „wachse“ mit jedem Tag, mit jedem Monat, mit jedem Erlebnis in seine Welt hinein. Ich schaue mal bei einem Spiel zu. Ich lerne nette Eltern kennen. Ich erfahre, dass auch schon die 8-jährigen an Meisterschaften teilnehmen. Ich erlebe, dass bereits in der Jugend Scouting betrieben wird. Plus der klassischen Aufgaben wie Fahr- und Wäschedienst und Tränen trocknen.

Mittlerweile ziehen mich die WM und EM regelmäßig vor den Fernsehen. Mit Freunden zusammen schauen – einfach herrlich. Den vergangenen DFB-Pokal sogar in der Kneipe. Trotzdem mutiere ich nicht zum Fußballfan. Und Fußball ist nicht gleich Fußball …

Das, was ich über die Hummels, Ronaldos, Guardiolas, Kloppos und Beckenbauers dieser Welt lese, unterhält mich. Das, was ich tagtäglich mit meinem Sohn erlebe, berührt mich. Es macht mir Spaß ihn spielen zu sehen. Ich freue mich, wenn er mit sich und seiner Leistung zufrieden ist. Ich habe den größten Respekt davor, wie er seinen Alltag organisiert. Und bin stolz auf ihn und seinen Weg, den er bisher genommen hat.

Ich hadere aber auch viel mit dem System Fußball.
Den Umgang der Trainer mit Jugendspielern finde ich nicht immer pädagogisch „wertvoll“. Ich wünsche mir oft mehr den Blick auf den Einzelnen und nicht nur auf die gesamte Mannschaft. Auch wenn mir bewusst ist, dass das schwer ist. Ich fühle mich oft allein gelassen, wenn es darum geht Fußball und Schule unter einen Hut zubekommen. Ganz zu schweigen bei Verletzungen.

Ich vergleiche den Ballsport mal mit einer Arbeitskollegin. Mit der verstehe ich mich beruflich, wir arbeiten größtenteils auch gut zusammen. Der ein oder andere unkollegiale „Ausreißer“, wie z.B. pünktliches Gehen bei ihr, wenn „die Bude brennt“ und wir anderen noch ackern, lässt mich aber an ihr zweifeln. Irgendwie lass ich mich nicht wirklich auf sie ein, vertraue ihr nicht und  bin immer auf der Hut. So ähnlich geht es mir auch mit dem Jugendfußball unseres Sohnes …

Mehr über mein Leben im Fußballuniversum findest Du in meinem Buch Ins Netz gegangen – Mein Leben mit einem Nachwuchskicker zwischen Schulbank und Torjubel.