Fußball und die Erwartungen vieler Eltern

Die Europameisterschaft 2016 förderte es wieder zu Tage: Erwartungen an allen Ecken.
Die eigenen Erwartungen der Spieler wie die von Thomas Müller, dem bisher noch kein EM-Tor geglückt ist: „Ich bin auch persönlich nicht zufrieden […].“
Erwartungen an die Kollegen, die bei Jérôme Boateng nach dem 0:0 gegen Polen auch mal kritisch ausfallen: „Wir haben vorne kein Eins-gegen-Eins-Duell gewonnen. Wir können froh sein, dass wir 0:0 gespielt haben […].“
Oder die des Trainers Joachim Löw an sein Team vor dem Nordirland-Spiel: „Wir wollen gegen Nordirland gewinnen, […] und wir werden Gruppensieger. Einen anderen Weg kenne ich nicht.“

Und natürlich die der Fans an „Die Mannschaft“…
Übrigens, Island hat am Montag durch den Sieg über England den „Vogel abgeschossen“ und alle nur erdenklichen Erwartungen haushoch übertroffen.

Selbige Hoffnungen und Wünsche finden sich im Kleinen auch in jeder Jugendmannschaft. Konnte ich vor kurzem bei einem der letzten Saisonspiele meines Sohnes auf einem der Nebenplätze beobachten…

Eine F-Jugend, ich schätze die Jungen und das einzige Mädchen auf ca. neun oder zehn Jahre, in viel zu großen Trikots. Sie laufen alle hinter dem Ball her, die Trainer folgen ihnen an der Seitenlinie zu fast jeder Aktion. Sie versuchen zu coachen, was zu coachen geht, um die „tollende Hundemeute“ zu den richtigen Spielzügen zu bewegen.
Was mehr als das Spiel meine volle Aufmerksamkeit erregt, sind die zahlreichen Eltern – in der Überzahl Väter – die wie wild auf ihre Kinder einreden. Ach, was sage ich, einbrüllen…

„Kevin, schieß auf’s Tor. Nun mach doch schon… Nein, nicht das, das andere. Ach, herrje… Paul, mach doch was… Lass Dir den Ball nicht abnehmen… Jetzt lauf doch mal…“

Von den Regeln der FairPlayLiga keine Spur.

Emotionen gehören zum Fußball dazu.

Aber wie weit gehen sie? Was sollen die oftmals auch harschen Aussagen?

Es gibt kaum eine Sportdisziplin, in der es so viele Eltern gibt, die sich „vom Fach“ sehen wie im Fußball. Meistens Väter und vereinzelte Mütter – eine Freundin erzählt mir von einer Mutter, die in Tränen ausbrach, weil ihr Sohn nicht mehr auf der von ihr favorisierten Position spielt, der Spieler selbst damit aber kein Problem hat – glauben oft fähiger zu sein als jeder Coach. Natürlich gehört für sie auch dazu, zu wissen, was ihr Kind kann, braucht, wie es gefördert werden muss und welche Position die Beste ist.

Auch wenn der DFB klare Ausbildungsrichtlinien für die jeweilige Jugend vorgibt, kommen diese selten zum Tragen. Denn durch den bereits früheinsetzenden Wettbewerb haben alle Beteiligten nur ein Ziel – Gewinnen!
Und das unabhängig vom Leistungsniveau, wie mir ein Jugendtrainer berichtet.

Die beiden Journalisten Ralf Lorenzen und Jörg Marwedel haben in ihrem Buch „Die Zukunft des Fußballs“, erschienen im KJM Buchverlag, auf Seite 51 das DFB-Ziel auf den Punkt gebracht:

[…] Kinderfußball soll keine Kopie des Erwachsenenfußballs sein.

Schön wär’s… Was treibt uns Eltern dazu unsere Kinder während des Spiels verbal zu pushen? Nach einem Match ab einem bestimmten Alter über verpasste Chancen zu sprechen? Oder Ratschläge zu geben, wie es besser gehen kann?
Ist es nur die Lust unseren Sohn/unsere Tochter in ihrem Sport zu begleiten? Oder steckt mehr dahinter? Der Ehrgeiz über unsere Kinder Erfolg zu haben? Oder sieht der ein oder andere von uns hier letztmalig die Chance der Selbstverwirklichung, weil in der eigenen Jugend der sportliche Erfolg nicht gelungen ist?

Bei der Suche nach der Antwort hilft es, sich mal in die Rolle unserer Kinder zu versetzen und zu überlegen, was der Fußball für sie bedeutet. Nachfolgende Fragen können dabei nützen:
Was ist der Grund warum mein Kind Fußball spielt?
Was gibt der Sport ihm/ihr?
Worin liegt der Spaß für meinen Nachwuchs Fußball zu spielen?

Danach sollte man sich selber mal ehrlich – im stillen Kämmerlein – hinterfragen, was ich aus dem Ballsport meines Kindes ziehe, warum es mir wichtig ist, dass es Fußball spielt und ob ich schon mit Zukunftsvisionen beschäftigt bin – also, den nächsten Gareth Bale zuhause vermute – oder das Hier und Jetzt genießen kann. Was wird passieren, wenn mein Kind nicht der Fußballer wird, den ich in ihm sehe? Was bedeutet das für mich?

Egal wie die Antworten ausfallen: Sie können einen anderen, vielleicht auch neuen Blick auf den Sport geben und möglicherweise zu ein bisschen mehr Gelassenheit führen. Denn ich glaube, die Erfolgsgetriebenheit führt dazu, dass es immer mehr „unser“ Sport statt der Sport unserer Kinder wird.

In der Vergangenheit gelingt es mir auch nicht immer die richtige Balance zu finden, bringe mich mal mehr ein als es für unseren Sohn gut ist. Das führt, wie es bei Ungleichgewichten der Fall ist, schnell zu Stress, die Auseinandersetzungen werden mehr, die Nerven liegen schneller blank. Für mich dann immer das Signal, mich mehr zurückzunehmen und ihn machen zu lassen.

Daher mein Rat:

Unterstützen ist wichtig, aber auf die richtige „Mischung“ kommt es an.

Erwartungen hat jeder und sie gehören zum Leben dazu, aber bitte wohl dosiert und so, dass sie den anderen und einen selbst nicht überfordern.
Dazu gehört auch mein Gegenüber wertzuschätzen. Etwas, das ich für das soziale Miteinander unabdingbar halte, leider oft vernachlässigt wird.
Wir müssen keine Experten sein, um unsere Kinder gut im Fußball zu unterstützen. Ich glaube, es hilft ihnen schon sehr viel im (Fußball-)Leben, wenn wir sie bestärken und wertschätzen in dem was sie tun.

Nicht alle Jugendspieler können ein Messi werden, ebenso wenig wie wir alle das Zeug zum Bundespräsidenten oder die Intelligenz von Einstein haben.
Also, egal ob WM, EM, Bundesliga, diverse andere Ligen und Jugendligen, Nachwuchsleistungszentren, große oder kleine Fußballvereine: sie werden uns weiterhin begleiten – die Hoffnungen, Erwartungen und Wünsche… Spätestens beim nächsten Spiel.

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