In der Arbeit mit den Eltern klappt viel mehr, als du wahrnimmst
Ich glaube, jede Person, die Kinder hat, kennt Phasen, in denen es einfach nur stressig ist.
Der Job ist gerade mega anstrengend, zuhause läuft es nicht rund, weil ein Kind krank ist (bei uns waren es mehr die Verletzungen unseres Sohnes, klassische (Kinder-) Krankheiten gab es bei uns eher weniger), das andere Kind steckt gerade in der Pubertät, Schule ist schitte, Aufräumen noch schlimmer, die Hunderunde gehen echt öde, die Großeltern brauchen Unterstützung, die Wäsche wäscht sich nicht von alleine …
Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Schnell verfallen wir dann in den Modus, dass ALLES schlecht ist. Die Dinge, die gut laufen, sehen wir gar nicht mehr. Kenne ich auch von mir. In den oben beschriebenen Momenten habe ich oft nur noch gemeckert, dass die Fußballtasche noch immer im Flur steht, die Küche nicht aufgeräumt ist, die Hausaufgaben auch noch erledigt werden müssen, der Hund noch nicht draußen war. In solchen Momenten haben unsere Kinder mir das häufig auch gesagt: „Du meckerst nur noch und sagst gar nichts Nettes!“
Was die Aussage mit mir gemacht hat, warum wir uns an negative Erfahrungen immer so super gut erinnern, wie wir den Fokus mehr aufs Positive legen können und was das alles mit der Elternarbeit gemein hat, darüber schreibe ich in diesem Blogartikel.
Willst du lieber hören statt lesen? Dann findest du hier die dazugehörige Podcast-Episode:
Inhaltsverzeichnis
Warum wir das Negative stärker wahrnehmen
Die Aussage unserer Kinder: „Du meckerst nur noch und sagst gar nichts Nettes!“ war für mich immer der Moment, innezuhalten und genau hinzuschauen. Denn ich habe das gar nicht gemerkt, war so im Alltag und der Anstrengung gefangen und hatte den wohlwollenden Blick verloren. Das passiert und ist auch voll in Ordnung und einige können sich vorstellen, dass da ganz schnell das schlechte Gewissen um die Ecke kam.
Wir neigen dazu, vor allem auch in der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Situation, mehr negative Dinge zu sehen und selbst schnell in einen Negativ-Strudel zu geraten. Und dabei die schönen Momente zu übersehen, die ebenfalls geschehen und uns gute Gefühle machen.
Warum ist das so?
Das liegt an der Funktionsweise unseres Gehirns, insbesondere an der Art und Weise, wie Emotionen, Erinnerung und Überlebensmechanismen zusammenwirken.
Drei wichtige Gründe habe ich kurz zusammengefasst:
1. Evolutionärer Schutzmechanismus
Seit frühester Evolution ist unser Gehirn darauf programmiert, Gefahren zu erkennen und zu vermeiden, um früher wie auch heute unser Überleben zu sichern. Ich erinnere nur an den Säbelzahntiger … Negative Erlebnisse enthalten oft Informationen, die für unser Überleben wichtig sind (z. B. Schmerz, Angst, Bedrohung). Deshalb speichert unser Gehirn sie besonders gut, um in Zukunft ähnliche Situationen zu vermeiden.
2. Unterschiedliche emotionale Aktivierung
Negative Erfahrungen aktivieren die Amygdala besonders stark. Sie ist das Zentrum für emotionale Verarbeitung und ist quasi das Alarmsystem unseres Gehirns und entscheidet blitzschnell, ob eine Situation gefährlich ist.
Positive Erinnerungen dagegen werden oft im Hippocampus, dem Zentrum für Lernen, Gedächtnis und Orientierung gespeichert. Er ist u.a. auch entscheidend für das Kurzzeitgedächtnis und die Umwandlung in das Langzeitgedächtnis, ohne ihn könnten wir keine neuen Erinnerungen abspeichern.
Die Aktivierung von negativen Erinnerungen in der Amygdala führt dazu, dass das Erlebte dort intensiver und länger gespeichert wird und macht sie so für uns einprägsamer als positive Erlebnisse.
3. Negativity Bias (Negativitätsverzerrung)
Psychologische Studien zeigen, dass Menschen negative Informationen stärker gewichten als positive und länger behalten als positive.
Wir neigen zum Beispiel dazu, Kritik länger im Gedächtnis zu behalten als Lob, weil sie die Amygdala stärker aktiviert und so zu intensiveren Erinnerungen führt. Oder wir grübeln oft über Fehler und Peinlichkeiten nach, auch wenn sie schon länger her sind, was sie weiter im Gedächtnis verankert.
Was kannst du machen, um die positiven Dinge mehr im Blick zu haben?
Ich habe damals eine Methode kennengelernt, den Fokus wieder zu schärfen. Nämlich in dem ich den kleinen Dingen, die gut laufen, schön sind, mir ein angenehmes Gefühl machen AUCH Beachtung schenke. Die liebevolle Umarmung, wenn unsere Kinder nach Hause kamen oder das Haus verlassen haben (machen wir übrigens heute noch immer so, obwohl sie schon groß sind und ihr eigenes Leben leben). Der nette Plausch beim gemeinsamen Mittag- oder Abendessen, auch wenn es eher belanglose Themen waren. Die Frage, ob ich heute Abend mit unserer Tochter GNTM gucken wolle (ja, war vor 15 Jahren bei uns total angesagt) und wir es uns in ihrem Bett gemütlich machen. Oder das Miteinander Schweigen, wenn ich unseren Sohn zum Training gefahren habe und wir einfach nur die Anwesenheit des anderen und die Ruhe genossen haben.
Mir hat das immer sehr geholfen, die Situationen zu relativieren, zu merken, dass nicht ALLES gerade blöd läuft. Dass es nur vereinzelte Dinge, Themen sind. Ich habe dadurch erlernt, auch im größten Sturm, die Schokomomente (danke Anna Koschinski dafür) zu entdecken. Dadurch ist der Sturm zwar nicht weg, er wird jedoch ein wenig erträglicher und fegt mich nicht komplett fott.
Was genau habe ich gemacht?
Ich habe zwei Methoden miteinander kombiniert. Wenn mir etwas Schönes passiert ist, habe ich mir das in Stichpunkten aufgeschrieben. Anfangs dachte ich, eine Strichliste würde ausreichen. Ja, um zusehen, DASS etwas geschehen ist, jedoch hatte ich oftmals vergessen, WAS es war. Und abends habe ich meinen Tag reflektiert und dabei gemerkt, dass die Schokomomente gar nicht so wenige waren. Heute reflektiere ich meine Woche freitags weniger detailliert, doch durch jahrelanges Üben und Ausprobieren erkenne ich auch im Nebel einzelne Sonnenimpulse – und wenn nötig, kehre ich immer wieder zu den Grundlagen zurück.
In der Zusammenarbeit mit den Eltern geschieht es schnell, dass du in den Strudel „Die Eltern sind anstrengend, wenig wertschätzend, respektlos …“ gerätst. Um dem zu entkommen, hilft es, den Fokus auf das zu lenken, was bereits gut läuft.
Ich kann dir versichern: Der Großteil der Eltern verhält sich nicht bewusst so, sondern viele wissen nicht, was du leistest, welche ehrenamtlichen Tätigkeiten in dein Arbeitsumfeld gehören und wie sie dich unterstützen können. Dafür braucht es einen Austausch von Wissen und Informationen zwischen euch.
Also wirf doch mal den Blick ins Kleine, das nette Hallo bei der Begrüßung, die Hilfe beim Abbauen, das Aushelfen beim Training, die Kuchenspende … Du brauchst nicht viel, Papier und Bleistift oder eine Notiz im Handy UND Achtsamkeit und Aufmerksamkeit.
Du wirst überrascht sein, dass mehr nette Momente zusammenkommen, als du denkst. Dieses Wissen und das damit verbundene Gefühl wird dazu beitragen, Eltern aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Diese neue Perspektive ist der Start für euch beide in ein wertschätzendes Miteinander. Ist übrigens auch auf alle Lebenssituationen anwendbar …
Sieh es als Experiment und probier es aus. Teile gerne deine Erfahrungen per Mail mit mir.
Für weitere Strategien möchte ich dir den Blogartikel von Dr. Jennifer Dillmann empfehlen, auf den ich durch #28TageContent aufmerksam wurde.
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