Es braucht mehr Aufklärung im letzten Jahr der U19!

Anton Schumacher und ich haben uns auf der Frankfurter Buchmesse 2018 kennengelernt. Seither saßen wir zum Thema „Der schwere und harte Weg zum Fußballprofi“ in verschiedenen Gesprächspanels und tauschen uns häufig zu diversen Themen im Jugendfußball aus.

Anton Schumacher ist pädagogischer Leiter des Nachwuchsleistungszentrums und Leiter des Internats von Eintracht Frankfurt. Der Diplom-Pädagoge und A-Lizenz-Trainer hat in seiner Jugend selbst Fußball gespielt und war bis 2017 zusätzlich Trainer und Co-Trainer verschiedener Jugendmannschaften u. a. bei Eintracht Frankfurt.

Die Talentförderung junger Spieler in Nachwuchsleistungszentren wurde nach dem Desaster 2000, in dem die Nationalmannschaft aus der Europameisterschaft flog, ausgebaut. In den 55 NLZs erhalten die Spieler neben der fußballerischen auch eine schulische und berufliche Ausbildung. Die diversen Auflagen, die ein NLZ erfüllen muss, wie u. a. Sportanlagen, medizinische Betreuung, Mindestanzahl von Trainern und Ausbildungsmöglichkeiten, kontrolliert und zertifiziert die belgische Firma Double Pass.

Anton, Du bist seit sieben Jahren pädagogischer Leiter des NLZs und Leiter des Internats. Wie sieht Deine tägliche Arbeit aus?

Meine tägliche Arbeit umfasst die bestmögliche Koordination der Bereiche Sport und schulischer/beruflicher Werdegang unserer Spieler sowie der Leitung unseres Internates. Diese muss man sich letztlich wie eine Wohngruppe vorstellen.

Wie kann ich mir das Leben in Eurer Wohngruppe vorstellen? Wie viele Spieler leben dort? Woher kommen sie?

Aktuell leben 14 Spieler bei uns. Zusätzlich können wir noch ein paar Jungs in WGs unterbringen. Sie kommen teilweise aus Hessen, wir haben aber auch Jungs aus dem Saarland, Rheinland-Pfalz, sogar aus Italien und den USA.

Wie alt sind die Spieler?

Aktuell zwischen 16 und 19. Die Jüngsten, die wir bisher hatten, waren 14.

Wie sieht der Alltag für die Spieler aus?

Der Tagesablauf ist komplett durchstrukturiert. Aufstehen, Frühstück, mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Schule, dort neben den normalen Abläufen zusätzliches Training, wieder zurück ans NLZ, essen, Hausaufgaben bzw. Nachhilfe, abends Training mit der Mannschaft, Videoanalyse, Individualtraining und, und, und. Gegen 20.30 Uhr Abendessen, 23.00 Uhr Nachtruhe.

Du begleitest die Spieler ja nicht nur schulisch, sondern bist Ansprechpartner für alle Belange. Was sind so gängige Themen, die Dich und die Spieler beschäftigen?

Ich stelle immer wieder fest, dass die Jungs vieles versuchen mit sich selbst auszumachen. Andere wiederum tragen ihr Herz dann schon eher auf der Zunge und sprechen mit mir tatsächlich über alles.

Den Sport, die Schule, wie sehr sie eine Verletzung belastet, Heimweh, die erste Freundin, wie es den Geschwistern so geht etc.

Als NLZ arbeitet ihr eng mit Kooperationsschulen zusammen. Wie sieht Eure Zusammenarbeit aus?

Mit unseren zwei Partnerschulen können wir alle Schulabschlüsse abbilden. Der stetige Kontakt und Austausch ist dabei das Wichtigste in unserer Zusammenarbeit. So sind wir immer über den aktuellen Stand jedes Einzelnen informiert und können entsprechend intervenieren, wenn es nötig ist.
Aus sportlicher Sicht sind für uns vor allem die zusätzlichen Trainingseinheiten vor Ort von großer Bedeutung. Und ganz allgemein natürlich die große Sportaffinität dieser Eliteschule des Fußballs.

Alle Verantwortlichen wissen, was die Jungs auch neben der Schule noch leisten müssen und versuchen zu helfen, wo es geht.

Ich habe durch unseren Sohn, der weiterhin seine Schule besucht hat, erlebt, dass es oftmals schwer ist, den Ansprüchen von Verein und Schule gerecht zu werden. Häufig sah ich mich als Vermittler zwischen den beiden Institutionen. Wie sind dazu Deine Erfahrungen?

Eine Vermittlungsrolle einnehmen zu müssen, findet häufig dann statt, wenn es sich nicht um Eliteschulen des Fußballs handelt und somit das gegenseitige Verständnis fehlt. Diese Erfahrungen habe ich leider auch schon gemacht. Da bittet man bei der Schule höflich um Freistellung vom Unterricht, weil die Mannschaft bereits freitags um 11.00 Uhr zum Auswärtsspiel bei Bayern München aufbricht, und alles, was man zu hören bekommt, ist: „Tja, jeder hat sein Hobby. Der eine geht gerne ins Schwimmbad, der andere sammelt Briefmarken, der nächste spielt Fußball. Warum sollen wir nun auf ein Hobby Rücksicht nehmen?“
Da ist es dann mitunter schon schwierig, den handelnden Personen klar zu machen, dass es sich in diesem Fall quasi um eine Berufsausbildung neben dem Fulltime-Job Schule handelt und es eben weit mehr ist als nur ein Hobby.

Oh ja, diese Diskussionen kenne ich. Was könnte/sollte sich verändern?

Im Idealfall gehen alle Schüler auf die dem Verein angegliederte Eliteschule des Fußballs. Hier gilt es dann natürlich auch Angebote am Nachmittag zu schaffen, um die Zeit zum Training bestmöglich zu überbrücken (Mittagessen, Hausaufgabenbetreuung etc.).

Das würde Mehraufwand in Personal, Räumlichkeiten, etc. für den Verein bedeuten.

Das ist richtig. Es muss für adäquate Räumlichkeiten gesorgt sein, in denen die Jungs essen, lernen und sich entspannen können. Eine angemessene Betreuung darf natürlich auch hier nicht fehlen, sodass eine Aufstockung des Personals unumgänglich wäre.

Kennst Du zu jedem Spieler auch die Eltern? Wie bindet Ihr sie in Eure Arbeit ein? Gibt es regelmäßige Gespräche, Treffen, etc.?

Im Internat kenne ich die Eltern des Spielers immer, klar. Mit ihnen bin ich regelmäßig im Austausch. Bei den Heimspielen der Teams z. B., bei Bedarf natürlich auch häufiger. Bei den Jungs, die nicht im Internat wohnen, ist das anders. Natürlich kenne ich auch hier viele Eltern, aber nicht alle.

Ich erlebe in meiner Arbeit auch Eltern, die viel mehr das Ziel „Profi“ im Blick haben als ihr Sohn. Wie gehst Du bzw. Ihr als NLZ damit um?

Indem wir uns ganz konkret an den Jungen wenden! Ihm klar machen, dass mehr als alles zu geben ohnehin nicht drin ist und wir ihn sowohl im Sport als auch schulisch unterstützen möchten.

Ohnehin erlebe ich es oft, dass beide Bereiche sich befruchten, anstatt sich gegenseitig auszubremsen.

Wie bei den Profis dreht sich in der Jugend das Transferkarussell auch zum Ende der Saison. Und auch wenn es im Vorfeld vielleicht Perspektivgespräche gab, die richtungsweisend waren, sind Entscheidungen nicht immer leicht zu akzeptieren. Wie ist es für Dich, wenn ein Spieler das NLZ verlassen muss? Wer führt das Gespräch, bist Du dabei?

Bei den Internatlern bin ich dabei. Da geht es darum, den Jungs einen anderen Weg aufzuzeigen, der natürlich auch die schulische Komponente beinhaltet. Bei den anderen ist immer der Trainer dabei, häufig auch die sportliche Leitung.

Uns geht es darum, den Jungen nicht als gescheitert dastehen zu lassen.

Er soll vielmehr verstehen, warum es hier aktuell nicht mehr der richtige Weg für ihn sein wird, welche Alternativen er hat und wie wir behilflich sein können.

Welche Alternativen könnt Ihr seitens des Vereins denn anbieten?

Zunächst mal müssen Spieler und Eltern sich grundsätzlich die Frage stellen: Möchte ich denn nach wie vor auf dem höchstmöglichen Level Fußball spielen? Wenn sie dies mit „ja“ beantworten, haben wir natürlich beste Kontakte zu den anderen ambitionierten Klubs der Region. Dort kann man dann schon Türen öffnen oder Brücken bauen. Umso schneller das gelingt, desto mehr haben Spieler und Eltern auch Lust auf ihre (letzten) Wochen bei uns. Einfach weil sie dann wissen: Es geht mit einem guten Plan weiter ab Juli. Und hier und jetzt habe ich neben all den schönen Erfahrungen auch eine unangenehme machen müssen, gleichzeitig konnte ich aber auch spüren, dass mir angebotene Hilfe auch tatsächlich zu Teil wird, wenn ich darum bitte.

Seit dem WM-Aus ist der Jugendfußball wieder mehr im Fokus. Der Ruf nach einer veränderten Ausbildung und vor allem Typen, die Individuen sind und Bolzplatzmentalität mitbringen, ist groß. Wie siehst Du die derzeitige Entwicklung?

Ich tue mich schwer mit der Diskussion. Gerne würde ich definiert wissen, was denn mit Charaktertypen und Individuen gemeint sein soll. Reden wir jetzt wieder vom Schlag Mario Basler, der rauchend und trinkend die Nacht vorm Spiel durchzecht hat? Diese Individuen schaffen es heute nicht mehr. Doch ich verstehe schon, worauf abgezielt wird. Mehr Kreativität, mehr Eigenständigkeit. Hier sind die NLZ gefragt. Wenn ich einem Spieler alles abnehme, brauche ich mich nicht wundern, wenn Entscheidungsfreude auf der Strecke bleibt. Lass ich ihn allerdings wieder selber seine Wäsche waschen, geht er vielleicht woanders hin, wo er das nicht machen muss. Einfache Antworten gibt es hier nicht. Dass die Thematik ins Bewusstsein des deutschen Fußballs gelangt ist, ist immerhin ein erster Schritt.

Die Frage wird sein: Wie konsequent kann man Eigeninitiative wieder einfordern und an welchen Stellen?

Gerade der Übergang von der Jugend zu den Senioren gestaltet sich für viele Spieler schwierig. Nicht nur durch die Tatsache, dass nur wenige Plätze zur Verfügung stehen, sondern auch dadurch, dass viele mit den neuen Situationen schwer zurechtkommen. Wie können junge Spieler unterstützt werden? Was sollte sich verändern?

Mehr Aufklärung im letzten Jahr der U19! Mehr Klarheit. Mehr Realismus.

Und vor allem ein Hinweisen auf die Gefahren der – wie ich sie nenne – Zwitterligen (Regionalliga, teilweise auch Oberliga), in der Spieler ein Schein-Profitum erfahren, von der Hand in den Mund leben und sich mit Mitte 20 fragen: Wo soll der Weg jetzt hinführen? Eine Ausbildung oder ein Studium konnte ich wegen der zeitlichen Umfänge im Verein nicht absolvieren, die Millionen habe ich aber auch nicht auf dem Konto.

Die meisten Spieler haben mittlerweile einen eigenen Berater. Wo sind Schnittstellen, an denen Ihr zusammentrefft?

Das kommt ganz auf die Familie an. Wenn der Berater großes Interesse zeigt und eingebunden werden möchte, sitzt er schon häufig mit am Tisch. Ich habe Gute und Schlechte erlebt. Bei den Guten hat man das Gefühl, fast mit einem dritten Elternteil zu kommunizieren, bei den schlechten merkt man schnell, dass es einfach nur ums Business geht.

Adidas will bei der WM 2019 den Frauen die gleichen Prämien auszahlen wie den Männern. Grund: Sie möchten den Nachwuchs motivieren. Ich lasse Mal meinen Gedanken freien Lauf … Ab wann wird es in den NLZ Mädchenmannschaften geben?

Wenn man sich die Frauen-Bundesliga ansieht, fällt ja auf, dass es Vereine wie Siegen oder Bad Neuenahr oder bei uns in der Stadt auch der FFC Frankfurt, als langjähriges Aushängeschild der Liga, schwer haben. Sie werden abgelöst vom VfL Wolfsburg, dem FC Bayern etc.
Es geht, wie immer um Angebot um Nachfrage und ich kann mir schon vorstellen, dass die Frauen-Bundesliga eines Tages voll durchprofessionalisiert ist. Mitsamt den positiven wie negativen Folgen auf die jeweilige Jugendarbeit.

Letztlich ist der Jugendfußball zum Profifußball light geworden.

Ob das im Mädchenfußball auch so weit kommen wird, mag ich allerdings nicht zu beurteilen.

Anton, ich danke Dir herzlich für das Gespräch!