War’s das mit dem Fußball?

Die Angst vor Verletzungen 

Als ich vor ein paar Wochen las, „Holger Badstuber verletzt sich im Abschlusstraining!“ dachte ich bei mir: „Schlimmer kann es für ihn doch nicht mehr kommen…“
Ich kann nichts über Badstubers fußballerischen Werdegang sagen, weiß nur, dass er für Bayern München kickt. Aber seine Verletzungshistorie ist beachtlich:
Seit 2012 zwei Kreuzbandrisse, Muskelfaserrisse, Sehnenriss im Oberschenkel und jetzt eine Sprunggelenksfraktur. Operation und Ausfall für mindestens drei Monate.

Ihr fragt Euch jetzt, warum ich das alles so genau weiß. Ich kenne dieses Verletzungspech von meinen Sohn…

14 Monate Hölle – ein Muskelfaserriss jagt den nächsten. Kaum wieder auf den Platz führt ein Unterarmbruch zum Aus. Oder kurze Zeit später der Außenbandriss am Sprunggelenk. Die verletzungsfreien Phasen in seinem „Seuchenjahr“ sind an einer Hand abzuzählen.

Okay, zum Fußball gehören Verletzungen. Es wird immer schneller gespielt, mit immer mehr Körpereinsatz. Wie bei den Profis jagt die Jugend-Bundesliga die Youth League oder Länderspiele, Testspiele werden in spielfreie Wochenenden gepackt, englische Wochen gehören bei 16-jährigen Fußballern bereits zum Alltag und die Erholungsphasen werden immer kürzer.

Laut einer Statistik der ARAG Sportversicherung und dem Lehrstuhl für Sportmedizin der Uni Bochum entstehen „[…] 40% der Verletzungen bei Fußballern durch Fouls oder Kollisionen. Die Verletzungen ohne Fremdeinwirkungen liegen bei 60%. Dazu zählen am häufigsten die hintere Oberschenkelmuskulatur, die Innenbänder im Knie und die Außenbänder des Sprunggelenks […].“
Unser Sohn bestätigt die Zahlen…

Im ersten Jahr der B-Jugend verbringt er mehr Zeit bei den Physiotherapeuten und neben dem Platz als auf dem Platz. Während seine Kumpels mit dem Ball am Fuß trainieren, schaut er neidisch und schwitzend aus dem Fenster der Reha zu.

Jedes Auftrainieren, jede Einheit auf dem Laufband ohne Nachwirkung lässt Aufatmen. Und die große Erleichterung, wenn es endlich die Freigabe vom Arzt zum Aufbautraining gibt, wird von uns wie ein kleiner Sieg gefeiert.

Ich meine wirklich UNS. Denn nicht nur für den Spieler ist eine Verletzung eine schwierige Zeit.

Auch für die Familie ist es nicht einfach.

Je nach Alter bin ich mit der Suche der Ärzte und Physiotherapeuten beschäftigt, schaue wie ich diese Termine mit meinem Job verbinde. Organisiere einen Athletiktrainer, der das Aufbautraining unterstützt. Spreche mit dem Coach ab, wann das Training wieder aufgenommen werden kann. Später wird mehr über den medizinischen Stab im Leistungszentrum abgedeckt, aber zu Untersuchungen, Gesprächen bin ich dennoch gefordert.

Passiert etwas, wird immer schnell die Frage nach dem „Warum?“ und „Warum ich?“ gestellt. Berechtigt vielleicht, hilft meines Erachtens nicht weiter. Denn es gibt selten eine Antwort auf die Fragen und wenn man eine bekommt, ändert sie ja eh nichts an der Situation. Daher für mich verschwendete Energie…

Spielen die Jungs in der E- oder D-Jugend ist die Kernfrage:

Wann kann ich wieder spielen?

Finden sie die ersten trainingsfreien Tage noch spannend und verbringen sie mit Freunden an der Playstation, kommt schnell die große Langeweile auf. Der Bewegungsdrang will gestillt werden und sie wollen so schnell wie möglich wieder an den Ball. Um mehr geht es ihnen – noch – nicht.

Werden sie älter, gesellen sich viel essentiellere Fragen dazu:

  • Wie lange wird es dauern, bis ich wieder ins Training einsteigen kann?
  • Wird der Muskelfaserriss wirklich in vier Wochen verheilt sein?
  • Werde ich an meinen alten Leistungsstand wieder anknüpfen können?
  • Werde ich noch Teil der Mannschaft sein?
  • Kann ich meinen Stammplatz zurückerobern?
  • Werde ich überhaupt weiter Fußball spielen können?

Diese Gedanken plagen jeden Spieler. Egal wie alt er ist, in welchem Verein oder Nachwuchsleistungszentrum er spielt. Denn der Konkurrenzkampf ist immens groß…

Jede Position in der Mannschaft ist mehrfach besetzt. Fällt einer aus, ist das die Chance für die anderen sich nach vorn zu spielen. Auch wenn Fußball ein Mannschaftssport ist, stehen elf Individuen auf dem Platz. Sie wollen gemeinsam gewinnen, aber jeder Einzelne will sich von seiner besten Seite zeigen. Will weiterkommen. Will von den Scouts entdeckt werden.

Sobald es um Verletzungen geht, sind Freundschaften schnell Schnee von gestern. Verliert der Jugendspieler seinen Platz auf dem Rasen und fristet sein Dasein in der Reha, gehört er auch nicht mehr zum „inner circle“ in der Kabine. Am aktiven Fußballleben nimmt er nicht mehr teil…

Philipp Lahm hat in seinem Buch „Der feine Unterschied“, Verlag Antje Kunstmann GmbH, 2012 etwas gesagt, was nicht nur für den Bezahlfußball gilt, sondern auch schon die Spieler im Jugendbereich erlernen müssen:
„Jeder Trainer will gesunde Profis haben. Profis wissen, dass ihr Stammplatz vielleicht verloren geht, wenn sie verletzt sind und ausfallen.“
Profis leiden ebenso wie unsere Jungs. Ich glaube nur, es gibt einen gravierenden Unterschied, der dem „Aushalten“ (für alle Beteiligten) vielleicht ein bisschen mehr Sicherheit gibt:
Ist der Fußball Dein Beruf, hast Du schon etwas erreicht, vielleicht auch schon Dein Ziel und weißt, wozu Du fähig bist.

Holger Badstuber zeigt beispielsweise, dass er auch nach langwierigen Verletzungen immer wieder in den Kader zurückkommt. Er weiß, wozu er fähig ist, was er und sein Körper leisten können. Wobei ich nicht wissen will, wie sehr auch er mit seinem Ausfall zu kämpfen hat.

Als Nachwuchsfußballer von 16, 17 oder 18 Jahren dagegen bist Du noch ganz weit von deinem Ziel entfernt. Jedes Abweichen vom Pfad verunsichert, macht Angst.

  • Du weißt noch nicht, was es bedeutet Profi zu sein.
  • Du weißt nicht, wie der Weg dahin aussehen wird.
  • Du weißt nicht, ob Du ihn jemals gehen wirst.
  • Du weißt nicht, ob die Verletzung vielleicht das Aus bedeutet.
Zweifel, die je nach seelischer Verfassung, mehr oder weniger beschäftigen. Meine Erfahrungen – und die vieler anderer Eltern – zeigen, dass diese Bedenken nicht vom Verein oder vom Trainer aufgefangen werden. Der Kontakt zwischen einem verletzten Spieler und seinem Trainer hält sich in Grenzen. Verstehen sie sich gut, erkundigt er sich hin und wieder nach ihm. Dass ich dabei von einer mentalen Unterstützung sprechen würde, wäre zu viel. Klar, ich kann es ein Stück weit verstehen.

Ein Trainer hat im Durchschnitt 25 Spieler.

Würde er sich um jeden Einzelnen kümmern, würde er nicht mehr zu seinem eigentlichen Job – dem Training – kommen. Dass dabei nicht viel Energie auf die verwendet werden, die aktuell nicht beim Gewinnen helfen, ist verständlich.

Ich sehe das aber eher aus pädagogischer Sicht. Wie gut tut ein Anruf, wenn es mir schlecht geht und mein Chef sich nach mir erkundigt? Obwohl ich krank bin, bin ich Teil des Teams und werde auch als solches gesehen. Das ermutigt, gibt Kraft – etwas, was in einer Verletzungsphase enorm wichtig ist.

Hier werden wir Eltern allein gelassen.

Wir müssen schauen, dass wir unsere Kinder so gut es uns möglich ist durch diese schwierige Zeit begleiten. Ihnen Mut machen, für sie da sind, wenn sie Gesprächsbedarf haben, oder sie einfach in den Arm nehmen, wenn die Tränen mal fließen müssen.

Ich werde zum Mentalcoach.

Nicht nur für unseren Sohn, sondern auch für meinen Mann. Er kann mit Verletzungen und Krankheiten nicht gut umgehen, die machen Sorge, Angst und große Augen.
Er hat in solchen Momenten großen Rede- und Informationsbedarf. Trifft es unseren Sohn, bedeutet das für ihn „Land unter“.
Er sorgt sich um seine körperlichen Verletzungen, seine seelische Verfassung und stellt sich die berechtigte Frage „War’s das mit dem Fußball?“.

Natürlich bin auch ich nicht die coole Mutter, die das alles mit links macht. Und ich kann die vielen Fragen auch nicht beantworten. Das führt hin und wieder zu mehr Spannung als uns gut tut.

Aber ich gehe mit Verletzungen einfach anders um. Ich komme aus einem medizinischen Haushalt, habe selber in meinem ersten Leben eine tiermedizinische Ausbildung absolviert. So wie andere Familien über den Bürojob des Vaters beim Mittagessen gesprochen haben, so wurde bei uns gerne über Operationen und Krankheiten geredet. Dadurch habe ich gelernt, dass diese Umstände zum normalen Leben dazu gehören.

Ich mache mir keine Gedanken, warum das eine oder andere passiert. Ich nerve auch nicht die Ärzte mit zeitlichen Prognosen, wann der Ball wieder rollt. Ich lasse den Dingen seinen Lauf und gehe mit dem was ist. Ich lebe ganz nach dem afrikanischen Sprichwort:

„Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“

Meine Haltung ist nicht jedermanns Sache und verhindert auch keine Verletzungen. Sie macht es unserem Sohn aber ein bisschen leichter. Und das ist es, was für mich/uns zählt.

Aus der anfänglichen Ohnmacht der ersten Verletzung entwickelt sich im Laufe der Jahre Eigeninitiative und Eigenverantwortung. Die vielen Höhen und Tiefen haben uns erkennen lassen, dass der Körper – das Sportinstrument des Fußballers – wie ein Formel 1-Wagen gewartet und gepflegt werden muss, damit der Körper den täglichen Belastungen optimal gewachsen ist.

Welche Behandlungswege, Trainingsimpulse und Präventionsmaßnahmen dafür nötig sind, darüber mehr in den nächsten Artikeln.