Jeder Jeck ist anders
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Eltern am Spielfeldrand
Im Laufe der letzten Jahre habe ich verschiedene Fußballinstitutionen kennengelernt: den Traditionsverein, die Fußballschule, das Nachwuchsleistungszentrum.
Hier lerne ich Spieler und Eltern kennen und jede Mannschaft hat ihren eigenen Charakter. Doch eins ist ihnen allen gleich: Sie ist ein bunt gemischter, multi-kultureller Haufen. Integration ist im Fußball längst gelebter Alltag.
Uns Eltern verbindet zwar der Fußball unserer Kinder. Doch so unterschiedlich wir sind, so verschieden sind auch unsere Sichtweisen und Einstellungen zum Ballsport.
Wie so oft in sozialen Communities kann man uns alle wunderbar in „Schubladen“ stecken…
Eislauf-Eltern auf Asche
Typ Vater, der bei jedem Training und Spiel anwesend ist und zu jedem Spieler der Mannschaft eine Meinung hat, auch wenn nicht immer positiv. Er macht daraus keinen Hehl, stuft er seinen Sohn doch als riesiges Talent ein.
Die Mutter tritt nur in Erscheinung, wenn das Familienoberhaupt nicht kann, ist eher still und hält sich aus allem raus.
Der Sohn ist ein netter, stiller Junge, der sehr ehrgeizig ist und dem in seinem Wesen und seiner Körpersprache oft der Druck abzulesen ist, dem er bereits unterliegt.
Die Eltern hoffen, dass ihr Sohn es im Fußball mal „weit“ bringen und in einer Liga spielen wird, die ihnen ihre Altersvorsorge sichert. Dafür soll er alles geben, sie verlangen Leistung auf höchstem Niveau.
Da muss der Filius auch mal die Zähne zusammenbeißen, wenn das Knie schmerzt oder die Schonfrist nach einer Verletzung nach Meinung des Vaters zu lang dauert und er gefälligst wieder auf den Platz soll.
Der Statistik-Wart
Die, die mit Haut und Haaren Anteil am Sport ihres Kindes haben, alle anderen Eltern und den dazugehörigen Sohn kennen, wissen wer wann wie lang in welchem Verein gespielt hat. Sie haben die Tabelle genau im Blick, wissen Siege und Niederlagen nicht nur der eigenen Mannschaft, sondern auch der Gegner.
Für mich die wandelnden Statistiker, die immer das Handy griffbereit haben, um während des Spiels die Tweets der anderen Mannschaften aus der Liga nicht aus den Augen zu verlieren und Tore und Gegentore ihrer unmittelbaren Umgebung sofort mitteilen können.
Sie analysieren nach dem Abpfiff, welche Tordifferenz zu welchem Platz führen wird, und ob die Meisterschaft bereits verloren oder noch in greifbarer Nähe ist.
Ich finde das äußerst unterhaltsam, kann mir selber aber keine Sekunde vorstellen, mir über solche Dinge Gedanken zu machen.
Gleichzeitig sind die Statistiker aber sehr hilfreich und hilfsbereit, wenn ich mal was wissen will. Denn, dass ich eine Antwort auf jede meiner Frage erhalte, ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Die Kletten
Dass sind die, die nur das Wohl des eigenen Sohnes im Auge haben und nach jedem Training beim Trainer stehen.
Aus meiner Erfahrung ist das nicht geschlechtsspezifisch. Das habe ich bei einigen Müttern ebenso erlebt, wie bei dem einen oder anderen Vater, im Extrem auch bei beiden Elternteilen.
Gerade bei jungen Trainern, die mit der Elternarbeit noch nicht so vertraut sind, führt das schnell zu Überforderung.
Zwei bis drei Personen streben nach Trainingsende auf sie zu.
Mutter A informiert, dass ihr Sohn morgen wegen eines Arzttermins nicht zum Training kommen wird. Okay, gebongt. Verstehe, dass das der Trainer wissen muss.
Vater B, der die letzten zehn Minuten das Training beobachtet hat, erklärt, dass sein Sohn heute nicht so gut trainieren konnte, da er noch ein Problem mit der Verletzung am Schienbein hat, die er sich im letzten Spiel zugezogen hat.
Hier wird es für mich schon grenzwertig.
Warum muss er das extra betonen?
Gerade Verletzungen, die sich Spieler im Training oder Spiel zuziehen, haben Trainer aus meiner Erfahrung gut auf dem Schirm. Sie nehmen die Einschränkung zu großer Wahrscheinlichkeit selbst wahr.
Also was ist die eigentliche Botschaft dieser Info? Schone meinen Jungen? Nimm ihn härter ran? Lass ihn am Wochenende auch spielen, wenn er noch Schmerzen hat?
Unglaublich, aber auch keine Seltenheit, sind Eltern C, die sich doch tatsächlich in die Kaderplanung einmischen wollen, fragen nach, warum ihr Sohn nicht spielt oder nicht auf der Position spielt, die sie für richtig erachten.
Die Helikopter-Eltern
Die, die ihren Sohn auf Schritt und Tritt begleiten, bis hinauf in die B-Jugend noch jedes Training mit Argusaugen begutachten und einfach nicht loslassen können. Sie haben auch Ansätze der Statistiker, da das Hobby ihres Kindes ja eigentlich auch ihr Hobby ist, und sie den gleichen Zeitaufwand betreiben wie ihr Sohn, da immer dabei.
Oft frage ich mich, wie das übrige Leben dieser Kinder aussieht, ob sie auch dort so „overprotected“ sind? Was ist der Beweggrund dieser Eltern? Haben sie schlichtweg Angst um ihr Kind, dass ihm etwas passieren könnte? Oder glauben sie, es schafft nichts allein? Was machen diese Eltern, wenn ihr Sohn mal mit dem Sport aufhört oder ihnen in die Selbstständigkeit entwischt?
Second Chance-Eltern
Eine weitere Spezies sind die Väter (in seltenen Fällen auch Mütter), die selbst mal gekickt haben oder in anderen Sportdisziplinen aktiv waren, es aber aus verschiedenen Gründen nicht bis an die Spitze geschafft haben. Sie unterstützen nun ihren Sohn oder ihre Tochter, und hoffen über ihn/sie zu spätem Ruhm zu gelangen.
Einige, die ich kennenlerne, sind eng am Sport ihres Sohnes dran, üben keinen offensichtlichen Leistungsdruck aus, sondern sind eher subtil. Im ständigen Gespräch nach Training und Spiel gibt es versteckte Hinweise, wie Sohnemann es besser machen kann.
Es geht dann nicht um „Du musst…“ oder „Du darfst nicht…“, sondern eher um „Du solltest…“, „probier doch mal….“, „überleg doch mal…“.
Wenn er dann nicht überlegen will, weil er keine Lust hat, „zerfrisst“ das den Vater, und er ist enttäuscht. Hätte er nur damals so jemanden an seiner Seite gehabt, wäre er eben doch ganz oben gelandet…
Die Berater-Eltern
Ein weiterer Phänotyp, den es früher nur vereinzelt, heute jedoch häufiger gibt, sind Eltern, die spätestens seit der D-Jugend einen Berater für ihren Sohn haben. Er taucht hin und wieder beim Spiel auf, berät und verhandelt Verträge und hilft bei Vereinswechseln.
Die „Eltern“-Trainer
Eine vom Aussterben bedrohte Spezies sind die Urgesteine: Eltern, die noch immer vom Spielfeldrand Anweisungen zurufen, und zwar nicht nur ihrem Sohn, sondern auch den Mitspielern.
Außerdem schiedsrichten sie natürlich besser als jeder Schiedsrichter. Sie kommentieren jede Entscheidung des Unparteiischen, schimpfen und beschimpfen ihn nicht immer sehr fair, wenn sie die Entscheidung als ungerecht erachten.
Sie versuchen, ihre umstehenden Nachbarn in ihr Fahrwasser zu ziehen, und hätten in den USA sicherlich lebenslanges Stadionverbot zu den Spielen ihres Sohnes.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Ich lerne Eltern kennen, deren Sohn schon seit Jahren im immer gleichen Verein spielt, quasi zum Inventar gehört und Eltern wie Spieler hoffen, dass bald ein „Großer“ zugreifen wird und sich alles Geld, alle Mühen und Qualen endlich auszahlen.
Die „Sutsche“-Eltern
Aber ich treffe auch Väter und Mütter, die gelassen das Hobby ihres Sohnes begleiten und unterstützen und einfach die Kugel rollen lassen. Es sind nicht viele und sie sind an einer Hand abzuzählen.
Meist sind das Eltern, die mit Fußball selbst nie richtig in Berührung gekommen sind, es dennoch gut finden, dass sich ihre Kinder sportlich betätigen.
Das sind meine liebsten Gesprächspartner, weil sich mit ihnen nette Themen ergeben, die wenig mit dem Sport unserer Kinder zu tun haben. Mit ihnen rede ich über Dinge, die unser „echtes“ Leben daneben ausmachen:
den Beruf, die Geschwisterkinder, die Wochenendplanung, die Urlaubslektüre, der nächste Kurztrip, unsere sportlichen Aktivitäten und…
Denn auch wenn wir Eltern eines Fußballers sind, sind wir nicht darauf reduziert.
Dann treffe ich auch auf Eltern, die sich nicht eindeutig in eine Kategorie einordnen lassen.
Der Vater, der seinem Sohn jegliche Unterstützung bietet und sich dadurch auszeichnet bei Anpfiff des Spiels alleine um das Spielfeld zu tigern. Das ist seine Art die Anspannung zu verarbeiten.
Oder der Spielervater, der in der Mannschaft als Verwalter agiert. Er richtet im Internet einen Spielplan ein, der für alle Eltern zugänglich ist und den er penibel pflegt ebenso die WhatsApp-Gruppe, über die er uns alle während des Spiels auf dem aktuellen Stand hält.
Gerade für Letzteres bin ich ihm unglaublich dankbar, muss ich meinen Mann in seiner Abwesenheit nicht über den Spielverlauf informieren. Das was er alles wissen will, kann ich eh nicht beantworten.
Und last but not least – die Mütter, die zu unseren diversen Grillnachmittagen die besten Köfte, Salate und Nachtische machen, die ich je gegessen habe.
Wie sehen Eure „Schubladen“ aus?
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