Muss ein Fußballer Vorbild sein?

 

Max Kruse verliert nach einem Pokerturnier 75.000 Euro im Taxi und nimmt auf seiner Geburtstagsparty in Berlin einer „Bild-Zeitung“-Reporterin das Handy weg.
Kevin Großkreutz wirft mit Döner um sich und pinkelt in die Hotellobby.
Marco Reus fährt jahrelang ohne Führerschein.
Uli Hoeneß hinterzieht Steuern.
Roger Schmidt wird für fünf Spiele gesperrt, weil er sich den Anweisungen des Schiedsrichters widersetzt.
Christoph Daum kokst, was er lange bestreitet.
Jürgen Klopp wird während seiner Zeit als BVB-Trainer wegen seiner bekannten Ausraster achtmal auf die Tribüne verbannt.

Die Liste der „Verfehlungen“ der letzten Jahre könnte ich noch ellenlang fortführen…

Für den einen bedeutete es den Rauswurf aus der Nationalmannschaft, für den anderen eine nicht unerhebliche Geldstrafe. Der eine musste in den Knast, der andere kam ungeschoren davon… Was bei allen aber gleich ist: Es wird davon gesprochen, dass sie Vorbilder sind und sich dementsprechend verhalten sollten.

Aber was ist überhaupt ein Vorbild?

In der Psychologie werden Menschen als Vorbild bezeichnet, die bewundert werden. Durch ihre Denk- und Sichtweisen – übersetzt in den Fußball durch ihr Talent und ihre Ausnahmestellung aufgrund herausragender Leistungen – identifizieren sich Menschen mit ihnen. Gerade für Jugendliche sind Vorbilder wichtig. Sich so zu geben wie ihr Idol, hilft eigene Schwächen und Unsicherheiten auszugleichen. Die ist sehr wichtig für die Selbstfindung.

Dribbeln wie Messi oder Ronaldo, torgefährlich wie Lewandowski und passgenau wie Toni Kroos: Davon träumen viele Jungs – und sicherlich auch einige Mädchen. Das Poster über dem Bett, den Namen des Idols auf dem Rücken, die gleichen Schuhe am Fuß, gilt die Bewunderung der fußballerischen Leistung.

Hat der Spieler sich bereits zu Jugendzeiten mit Haut und Haaren dem Fußball verschrieben, dann wird ihm ab Nachwuchsleistungszentrum der „Puderzucker in den Po“ gepustet: Komplette Ausstattung, Organisation der Anreise zu Spielen, medizinische Betreuung, Fahrdienst, der Zeugwart kümmert sich um die Trikots fürs tägliche Training und die Getränke, etc.

Ab der U-17 verdient er Geld und hat oft mehr als seine Klassenkameraden. Dafür muss er aber auch die Doppelbelastung Leistungssport und Schule stemmen. Nicht immer einfach und auch mit vielen Entbehrungen verbunden.

Schafft er dann – wovon alle träumen – den Sprung in die Bundesliga und ist dazu noch so erfolgreich, dass es für die 1. oder 2. reicht, verdient er so viel, davon kann ein Normalbürger nur träumen. Und Millionen von Jungs und Mädchen, die mal genauso so kicken wollen wie sie, schauen zu ihnen auf.

Das Vorbild ist geboren.

Aber neben dem Fußballer ist jeder Spieler nun mal Mensch und hat ein Privatleben. Ich kann mir vorstellen, dass es anfangs sicherlich spannend ist, erkannt zu werden, wenn man abends unterwegs ist und Leute mit einem ein Selfie machen wollen. Nur irgendwann würde es mich ganz schön nerven, dass man nicht mehr unbeobachtet ist. Einfach chillen, mit den Freunden um die Häuser ziehen, überhaupt als Sportler in der Öffentlichkeit Alkohol trinken – ein No-Go.

Ich tue mich mit der Rolle des Vorbilds bei Sportlern ein bisschen schwer. Wir haben die Tendenz jeden, der erfolgreich ist, sofort zu idealisieren. Im Tennis Steffi Graf und Boris Becker, im Schwimmen Franziska van Almsick und Michael Groß, im Rennsport Michael Schumacher, im Boxen die Klitschko-Brüder. Ich glaube, wir übertragen den Erfolg aus dem Sport gerne auf die komplette Person. Muss das sein? Und ist dieser Rolle überhaupt jeder gewachsen?

Im Grunde wollen sie nichts anderes als ihren Sport ausüben und stehen plötzlich im Rampenlicht – mit allem, was dazu gehört. Dem einen fällt das leicht, der andere fühlt sich nicht so wohl. Dem einen ist das bewusst, der andere geht recht unbedarft damit um.

Was es dann für einen jungen Fußballer bedeutet, im Sinne des Verein zu agieren, sich im Namen der Nationalmannschaft zu präsentieren, ist vielen vermutlich gar nicht klar. Hätte ich tausende Euros im Taxi vergessen, würde das keine Nulpe interessieren. Okay, ich bin auch nicht berühmt und verdiene nicht so viel. Bei Kruse ist es sofort eine Schlagzeile.

Ich habe oft das Gefühl, dass Fußballer so unvorbereitet in die große mediale Welt von TV, Print, Facebook, Twitter, YouTube und Co. purzeln. Und die vielen Freunde und tolle Berater sich dann oft als die Falschen entpuppen, wie Hans Sarpei in seiner Kolumne „STERN-STIMME“ vom 22.3.2016 unter dem Titel „Max Kruse – Opfer einer scheinheiligen Fußball-Welt“ schreibt.

Und so jemand soll dann mit Anfang/Mitte 20 Vorbild für meinen 18jährigen Sohn sein? Ich weiß nicht…

Als ich mit unserem Sohn über die Max Kruse-Geschichte spreche und ihn Frage, was er davon hält, hat er eine ganz pragmatische Haltung:
„Was hat Kruse denn Schlimmes gemacht? Nichts, was andere nicht auch machen würden. Und diese Nummer mit Vorbild… Ich finde, dass jeder von uns ein Vorbild ist. Egal, ob es der alte Mann im Bus ist, der für mich ein Vorbild sein sollte oder ich selbst gegenüber Jüngeren.“

Und ich gebe ihm recht. Jeder von uns ist ein Vorbild in seinem sozialen System. Jeder ist für sein Tun verantwortlich. Jeder sollte sich der Konsequenzen bewusst sein. Egal ob Promi, Metzger, Arzt oder Frau Schmitz von nebenan. Etwas, das ich als Mutter bereits meinen Kindern in jungen Jahren versuche zu vermitteln.

Aber wir sollten akzeptieren, dass auch sie ihre Schwächen haben. Dass sie menschlich und nicht perfekt sind. Und auch mal Dinge tun, die nicht mit den Regeln der Gesellschaft konform gehen. Und dafür abgestraft werden. Aber zu ihrem Ruhm gehört es nun mal dazu, dass es jeder mitbekommt. Anders als bei uns Nobodys. That’s life!

Was schwierig wird, wenn dabei unterschiedliche Maßstäbe angesetzt werden.

Ich kann den Frust bei Max Kruse verstehen. Erinnert mich so ein bisschen an meine Schulzeit…
Mein Schulfreund quatscht die ganze Schulstunde mit seinem Kumpel – wir anderen haben das Gefühl in einer Talkshow zu sein – und wird nur immer wieder vom Lehrer ermahnt. Ich schreibe Zettelchen mit meiner Freundin hin und her – was für meine Begriffe niemand stört – werde vom gleichen Lehrer erwischt und muss dafür nach der Schule nachsitzen.
Ungerechter Umgang mit Disziplinarstrafen, sage ich da nur… Den einen trifft es härter und der andere kommt ungeschoren davon. Siehe oben…