Wieso hört man von so vielen Jugendtalenten später nichts mehr?

Diese Frage habe ich vor ein paar Wochen auf Facebook gestellt, nachdem ich einen Artikel über den Hertha BSC-Trainer Pal Dárdai gelesen habe, den die mangelnde Motivation seines Spielers und ehemaligen Jugendtalents Sinan Kurt ärgerte.

Nachwuchsspielern wird bereits in jungen Jahren ein überragendes Talent bescheinigt. Sie spielen oft in einem Nachwuchsleistungszentrum, wechseln problemlos von einer Jugend in die nächste, sind Stammspieler in ihrer Mannschaft, Perspektivspieler in ihrem Verein und spielen – wenn es richtig gut läuft – in der U-Nationalmannschaft. Und an irgendeinem Punkt ruckelt es, meist beim Wechsel zu den Senioren, spätestens kurze Zeit nach Einstieg bei den Profis. Sie geben nicht alles, ruhen sich aus auf dem, was sie bis dahin erreicht haben, sind unmotiviert, glauben „es geschafft zu haben“. So nehmen wir es als Außenstehende wahr und reagieren mit Unverständnis, dass der Spieler nicht alles gibt. Vor allem wenn er dazu noch ein monatliches Gehalt hat, von dem eine vierköpfige Familie einen Monat leben muss.

Ich glaube, es ist nicht ganz so einfach. Hier spielen mehrere Faktoren eine Rolle.

Klar, ist vorrangig der Spieler selbst für seine Leistung verantwortlich. Ist seine Motivation nicht intrinsisch gesteuert, wird es auf Strecke schwer für ihn. Und für sein Umfeld ebenso – Trainer, Eltern, Betreuer. Denn das beständige Motivieren von außen raubt auf Dauer allen den letzten Nerv.

Sind vielleicht die ständigen Erwartungen und Aussagen „Du kannst es bis nach ganz oben schaffen!“ zu viel? Lösen sie eher Druck, statt Motivation aus? Ich glaube, dass jeder mit seinem Talent anders umgeht. Für den einen kann es Ansporn sein noch mehr zu tun, für den anderen das Zeichen, es reicht, was ich mache. Nicht umsonst heißt es, dass eine besondere Begabung Fluch und Segen zugleich sein kann.

Ich wage mal zu bezweifeln, dass die gemachten Zukunftsprognosen wirklich für einen jungen Menschen greifbar sind. Ich spreche hier von Jugendlichen, die oft außer der Schule und dem Fußball noch nicht viel erlebt haben. Und sie sollen dann reflektiert über ihr (Fußball-) Leben nachdenken? Ganz schön viel verlangt, wie ich finde. Außerdem kenne ich keinen Berufszweig, in dem einem Lehrling ein besonderes Talent und das Ziel des erfolgreichen Abschlusses sowie einer guten Bezahlung bereits vor Beginn der Ausbildung so in Aussicht gestellt wird wie im Fußball.

Das Leben eines Nachwuchsfußballers 
Zum Leben eines Nachwuchsfußballers gehört es, dass er seine Trainingsklamotten und Trikots gewaschenen in der Kabine vorfindet; seine Fußballschuhe vom Zeugwart geputzt werden; das Mittagessen bereits nach dem Vormittagstraining auf dem Tisch wartet; ein Fahrdienst bereitsteht, sollte er noch keinen Führerschein haben, der Physio jederzeit zur Stelle ist und wenn er Glück hat, er schon einen fetten Vertrag in der Tasche hat. Jetzt den Hintern hochkriegen und sich anzustrengen, wenn doch bisher alles problemlos lief?

Seine Komfortzone zu verlassen, um sich der neuen Herausforderung zu stellen und weiterzukommen?

Etwas, was viele Menschen nicht wollen, aber Einige von uns durch unsere Lebenserfahrungen wissen, wie wichtig und ja, wie toll so etwas sein kann. Aber das weiß ein 18-, 19-, 20-, 21-jähriger – noch – nicht. Ist ja auch nicht einfach und ich kenne den ein oder anderen meiner Freunde, dem das in zunehmendem Alter auch noch schwer fällt. Ist also nicht alters- oder branchengebunden :-).

Viel mehr ist die Frage, ob es dieses „Rundum-sorglos-Paket“ braucht, um den Nachwuchs gut auszubilden? Wie soll jemand, dem in dem Alter „Puderzucker in den Po gepustet“ wird, einen differenzierten Blick auf sein Leben haben? Was braucht jemand, der zwar im täglichen Training seinen Platz behaupten muss, aber noch nicht wirklich um etwas „kämpfen“ musste?

Und hier komme ich zum nächsten Punkt. Wenn ich etwas nicht weiß, dann kann ich es auch nicht können. Engagierte Vereine, Nachwuchsleistungszentren, Fußballschulen bilden technisch gut aus und versuchen bei ihren SpielernInnen schon früh – spätestens ab der B-Jugend – den Blick für den Profibereich zu schärfen. Sie dürfen dann mal in der U23 oder in der 1. Mannschaft mittrainieren, ein Freundschaftsspiel bei den Profis bestreiten oder sogar ins Trainingslager mitfahren. Aus meiner Arbeit als Coach, aber auch aus eigener Erfahrung weiß ich, wie stolz es die jungen Menschen macht, dies erleben zu dürfen. Und natürlich haben sie das Gefühl, dass „da was geht…“. Ehrlich, hätte ich auch.

Fatal ist, wenn sie kein Feedback auf dieses Intermezzo bekommen, was leider viel zu oft passiert und auch Bernhard Peters, Direktor Sport beim HSV bemängelt.
In seinem FAZ-Interview „Trainer sind zu wenig geschult“ vom 25.03.2015 sagt er, dass A-Jugend-Spieler oft nicht wissen wo sie hingehören. Mal trainieren sie bei der U23, mal bei den Profis, werden dann kommentarlos wieder zurückversetzt.

[…]. Im Fußball wird den Jungs viel zu wenig transparent erklärt, wo sie wirklich stehen. Das liegt auch daran, dass die Trainer zu wenig geschult sind emotionale Bindungen aufzubauen und die Entwicklung der Jungs kommunikativ vertrauensvoll zu begleiten. […]

Miteinander reden könnte helfen
Hier würde eine klare Kommunikation zwischen allen Betroffenen dazu beitragen, dass alle wissen, wo sie stehen, wie die Erwartungen sind, was getan werden sollte. Hier meine ich neben Spielern und Trainern auch die Eltern. Denn sie sind in diesem Konstrukt nicht unerheblich, da sie am Leben ihrer Kinder nah dran sind und viele Spieler noch zu Hause leben. Ich erlebe häufig, dass Einige kaum bis gar nichts über die Anforderungen ihres Nachwuchs wissen. Wie sollen sie dann gute Begleiter sein, die neben allen anderen auch mit Rat und Tat zur Seite stehen? Sie sollen nicht der Wachhund werden, eher derjenige, der hin und wieder mal daran erinnert, worauf gerade der Fokus liegt.

Bei all unseren Meinungen, die wir uns schnell bilden, sollten wir nicht vergessen, dass es hier um junge Menschen geht, die erst am Anfang ihres eigenständigen Lebens stehen. Wie jeder andere in dem Alter brauchen auch sie Anerkennung, Zuspruch und Unterstützung und nicht bei jedem läuft es wie am Schnürchen.

Ich glaube nicht, dass aus jedem Talent ein Profi wird, es wird ja auch nicht aus jedem Musikstudent ein Mozart. Denn es ist nicht nur die Einstellung, die zählt, sondern der richtige Berater, der richtige Wechsel zum richtigen Zeitpunkt, nicht nur unter finanziellen Aspekten, Verletzungen, etc. Ich glaube aber, dass die Verantwortung nicht nur beim Spieler liegt, sondern auch bei allen anderen Verantwortlichen im Jugendfußball.

Mehr dazu könnt Ihr in meinem Buch Ins Netz gegangen – Mein Leben mit einem Nachwuchskicker zwischen Schulbank und Torjubel lesen, das Ende September erscheint.