Wie der Blick über den Tellerrand gelingen kann

Die Aussage von Freiburgs Stürmer Nils Petersen „[…]Salopp gesprochen, verblöde ich seit zehn Jahren, halte mich aber über Wasser, weil ich ganz gut kicken kann. […]“ ist schon sehr ehrlich und mutig von ihm. Mich beeindruckt, wie reflektiert er seine Situation sieht.

In der Vergangenheit galten Fußballer oftmals als einfältig, wurden meist nur auf ihre sportlichen Qualitäten reduziert. Heute haben fast 2/3 der Profis Abitur oder Fachabitur. Der Weg dahin ist – wie auch in anderen Bereichen unseres Leben – bei jedem unterschiedlich. Der eine quält sich, um sein Ziel zu erreichen. Der andere beendet die Schule mit dem Realschulabschluss. Der Nächste bricht die Schule ab und steht vielleicht ganz ohne Abschluss da. Dann gibt es auch hier die Überflieger, die das mit links machen.

Und auch danach folgt jeder seinen eigenen Ambitionen. Der, der sich auf den Fußball und sein Ziel Profi werden zu wollen konzentriert. Der, der ein Studium/Fernstudium parallel beginnt. Der, der zusätzlich in eine Ausbildung geht. Der, der ein soziales oder sportliches soziales Jahr nebenher absolviert ….

Was ich damit sagen will, es ist viel vom Typ abhängig, wie weit sich jeder neben dem Fußball weiterbildet.

Fokussieren sich Nachwuchsspieler auf den Sport, fehlt hier häufig der Blick über den Tellerrand.
Gerade junge Menschen brauchen oftmals dabei Unterstützung, sind Input und Impulse wichtig, auch wenn sie volljährig sind. Bisher sind das meistens wir Eltern, die Wissen vermitteln, Anregungen bieten, Sichtweisen diskutieren, vielleicht durch eigene Hobbys und Reisen Neugierde erzeugen. Meist ist der lang ersehnte 18. Geburtstag der Startpunkt, zu dem sich unsere Aufgaben verändern. Unsere Kinder wollen und sollen ihre eigenen Erfahrungen sammeln und Entscheidungen treffen. Das finde ich als Mutter auch gut so. Nicht weil ich mich der Verantwortung entziehen will, sondern weil das zum Abnablungsprozess gehört. Ich bin nicht mehr der aktive Part, der sagt, was als Nächstes zu tun ist, sondern werde zu einem passiven Beobachter, der eher berät und begleitet.

Das Leben eines Spielers in den ersten drei Ligen besteht aus Training und Spielen, Reisen, Krafttraining, Physiotherapie, evtl. Individualtraining Alles im „Puderzucker-Modus“: Er muss sich um nichts kümmern, vieles wird für ihn übernommen. Eigentlich bietet sein Alltag auch Raum für andere Dinge. Nur wie die finden?

Wenn sie nicht zu ihm kommen, braucht es schon eine gewisse Portion Eigeninitiative und Willen in diesem „Schlaraffenland“ selbst aktiv zu werden.

Was kann dabei helfen? 

Ich glaube, dass genau hier die Vereine zusätzlich ansetzen können. Viele wollen, dass ihre U19- bzw. U23-Spieler, wenn sie nicht mehr zur Schule gehen, ein Praktikum, eine Ausbildung oder ein Studium absolvieren. Der BVB beispielsweise bietet seinen Spielern nach Ende der Schule die Möglichkeit, sich innerhalb von neun Monaten in Schulungen, Vorträgen, Beratungen, etc. beruflich zu orientieren.
Doch nicht immer fühlen sich alle Spieler von solchen Angeboten angesprochen. Meist sind es die intrinsisch motivierten Spieler, die darauf zurückgreifen. Die, die vielleicht ihre Schullaufbahn eher in schlechter Erinnerung haben, folgen nicht direkt diesen Ausbildungsmöglichkeiten. Und bleiben dadurch häufig außen vor.

Wie können diese Fußballer ins Boot geholt werden? 

Wie wäre es, junge Spieler, die weder eine Ausbildung oder ein Praktikum machen, noch studieren, an ihren trainingsfreien Vormittagen in sozialen Einrichtungen tätig werden lassen? Eine Turneinheit im Kindergarten organisieren, junge Flüchtlinge trainieren, die Morgengymnastik im Seniorenheim leiten, andere soziale Einrichtungen unterstützen, im Tierheim Hunde ausführen, beim Grünflächenamt helfen … What ever, es gibt zahlreiche Möglichkeiten. Wechsel jeweils nach drei Monaten.

Was wäre der Mehrwert für sie? 

Sie würden einen Einblick in die ganz normale Welt erhalten, was in der shiny Fußballwelt extrem schwerfällt.
Sie würden geerdet.
Sie würden andere Erfahrungen machen.
Sie würden neue unbekannte Bereiche kennenlernen.
Sie würden mit neuen Herausforderungen konfrontiert werden.
Sie würden vielleicht ein realistisches Gefühl für das Verhältnis von Arbeitseinsatz zu Bezahlung erhalten.
Die Arbeit könnte neue Interessen wecken.
M.E. ist es anfangs nicht zwingend notwendig zu studieren oder eine Ausbildung zu machen, um Lebenserfahrungen zu machen, sondern sich überhaupt mit etwas Sinnvollem auseinanderzusetzen.

Und damit meine ich nicht Playstation spielen, schnelle Autos fahren, Klamotten kaufen oder Freunde beständig zum Essen und Party machen einladen.

Natürlich ist das keine Garantie alle Spieler zu erreichen. Es würde den Aussagen einiger Vereine, dass sie sich neben dem Fußball auch um eine Ausbildung der Spieler kümmern, aber Taten folgen lassen. Und vielleicht geht es vereinzelten Spielern so wie vielen meiner Freunde, die über den mittlerweile abgeschafften Zivildienst Erfahrungen gemacht haben, die ihnen für ihr weiteres Leben geholfen haben. Dadurch, dass sie wussten, solche Arbeiten nicht machen zu wollen, schätzen lernten, was Menschen in z.B. sozialen Berufen leisten, oder einen Einblick in einen Kosmos erhielten, der ihnen bisher unbekannt war.

Und übrigens, die Fußballerinnen – egal ob Profi oder Amateur – studieren, machen eine Ausbildung oder arbeiten. Zusätzlich zu ihrem Fußballalltag…

Mehr über meine Erfahrungen findest Du in meinem Buch Ins Netz gegangen – Mein Leben mit einem Nachwuchskicker zwischen Schulbank und Torjubel.